Von Sonja Wenger — Witzig ist diese Parodie auf die Psychoanalyse nach Sigmund Freud, etwas durch den Wind, aber famos gespielt, manchmal raffiniert erzählt, und in einigen Bereichen einfach nur plump zusammengeschustert. Die Rede ist von «Über-Ich und Du», dem zweiten Langspielfilm des deutschen Regisseurs Benjamin Heisenberg, dessen Erstwerk «Der Räuber» 2010 mit Preisen überschüttet worden war. Während Heisenberg in der «Der Räuber» noch kühl beobachtete, wie ein Marathonläufer und Serienbankräuber funktioniert, und dabei die Physis einer Filmfigur in den Vordergrund rückte, geht es diesmal ziemlich locker und erfreulich unverkrampft zur Sache.
In Heisenbergs Geschichte treffen dabei zwei Charaktere aufeinander, die kaum unterschiedlicher sein könnten, und die doch in einer absurden Schicksalsgemeinschaft aneinandergekettet werden. Der Gelegenheitsdieb und Bücherliebhaber Nick Gutlicht (Georg Friedrich) hat es sich mit einer rabiaten Münchner Geldverleiherin verscherzt, und trifft auf der Suche nach einem Unterschlupf zufällig auf den berühmten Psychologen Curt Ledig (André Wilms). Dieser wehrt sich gegen das Alter, eine erstarkende Demenz und die gutmeinende Bevormundung durch seine Familie, findet aber dennoch schnell Gefallen am starrköpfigen Nick, der aufgrund einer beachtlicher Fähigkeit zur Improvisation im Angesicht eines Missverständnisses als Curts Hilfe engagiert wird.
Dass Nick seinen Job mit der grösstmöglichen Nonchalance verrichtet, scheint den Professor nicht weiter zu stören. Sein Interesse wird jedoch geweckt als er beobachtet, wie sich Nick an seiner kostbaren Bibliothek bedient und diese nach und nach zu Geld macht. Er beschliesst, erstmals seit Jahrzehnten wieder jemanden zu therapieren, und ahnt nicht, dass er damit ein paar schlafende Hunde namens Bindungsangst, Verlusttrauma und Lebensneurose weckt, die man besser in Ruhe gelassen hätte.
Dank einigen prächtigen Einfällen und Dialogen, skurrilen Charakteren aus der Münchner Unterwelt wie Oberschicht, sowie einer soliden Besetzung – in Nebenrollen sind auch die Schweizer Akteure und Akteurinnen Bettina Stucki, Philippe Graber und Johanna Banzer zu sehen – ist «Über-Ich und Du» über weite Strecken äusserst unterhaltsam. Doch obwohl man ständig etwas zum Grinsen hat, kann dies nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass viele der gestellten, durchaus cleveren Fragen rund um die Beziehung zwischen Gutlicht und Ledig im Film offen bleiben, sich zu viele Aspekte in Wohlgefallen auflösen. Sei es bei der Wucht, mit der Nick auf die Therapie von Curt anspricht, bei den Ticks der beider Protagonisten, oder in der jovialen Schlussszene, bei der ein Heissluftballon eine verwirrende Rolle spielt.
Am Ende ahnt man, dass man zwar eine liebevoll und schlau gemachte spöttische Kritik der Psychologie gesehen hat und Zeuge einer ungewöhnlichen Radikaltherapie wurde, wie man sie nur selten beobachten kann. Dennoch bleibt man etwas ratlos im Kinosaal zurück. Beinahe scheint es, das Drehbuch von Heisenberg und Joseph Lechner hätte noch ein paar Überarbeitungen vertragen. Mit den Konventionen zu brechen ist allerdings auch signifikant einfacher in der Psychotherapie, als in einer Filmparodie über dieselbe.
«Über-Ich und Du», Deutschland 2014. Regie: Benjamin Heisenberg. Länge: 93 Minuten.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014