Von Julia Richter — Zum 80. Geburtstag Yoko Onos zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine umfangreiche Retrospektive ihres künstlerischen Werks der letzten sechzig Jahre. Wer Ono nur kennt, weil sie mit John Lennon verheiratet war und für das Ende der Beatles verantwortlich gemacht wurde, sollte dies schnellstens ändern.
Schau in die Sonne, bis sie eckig wird. Höre einem Stein beim Altern zu. Sende deinen Freunden kleine gelbe Todesanzeigen, wenn die Schmetterlinge in deinem Bauch gestorben sind. Diese kleinen, im Buch Grapefruit 1964 erstmals veröffentlichten Instruktionen geben charakteristische Einblicke in Yoko Onos Werk.
Yoko Ono, in vielem unverstanden, in vielem ihrer Zeit voraus, hat es zu Unrecht vor allem wegen ihrer Beziehung zu Lennon und nicht wegen ihrer Kunst zu Bekanntheit gebracht. Als sie sich kennenlernten befand Lennon, dass Ono die «berühmteste unbekannte Künstlerin sei». Weltweit berühmt wurde sie, als sie begann, mit Lennon exzessiv ihr symbiotisches Paarsein und ihren Einsatz für den Frieden zu zelebrieren – beispielsweise mit ihren «Bed-Ins», an denen sich die beiden mehrere Tage zusammen ins Bett legten und von dort aus Interviews gaben. «Stay in bed and grow your hair» wurde von Ono und Lennon offensiv als Kriegs-Präventionsstrategie propagiert.
Dass Yoko Ono jedoch weit mehr war als ein Popmusiker-Accessoire, wird in der Ausstellung Half-a-Wind Show in der Frankfurter Schirn Kunsthalle deutlich. So gilt sie als Gallionsfigur der Frauen- und Friedensbewegung, als eine der ersten Performance-Künstlerinnen und als Mitbegründerin der Kunstrichtung Fluxus. Lange wurde Ono jedoch nur wenig Beachtung zuteil – ihre Kunstwerke waren «zu verrückt» und verkauften sich deshalb nicht.
Dennoch lässt ihre innovative, tiefgründige und originelle Kunst die Frage, ob sie nun schuld daran ist, dass die Beatles sich getrennt haben, als Bagatelle erscheinen. Und die Tatsache, dass sich die öffentliche Diskussion um Yoko Ono immer vorwiegend um diese Frage und nicht um ihre Kunst drehte, als einen Fehler.
Rauminstallationen, Filme und über 200 Objekte geben in Frankfurt einen Überblick über das künstlerische Schaffen der 80-jährigen. Ein Lebenswerk, das schwierig auszustellen ist – Onos Kunst propagiert Vergänglichkeit und partizipative Elemente. Das Publikum ist notwendig zur Vervollständigung der ausgestellten Werke – «bitte berühren, get involved» ist hier das Credo.
Dies ist ein charakteristisches Element des Fluxus, der Kunst als Idee sieht, als etwas Flies-sendes, als Aufforderung zur Konzentration auf den Augenblick. Anders als im Surrealismus oder im Dadaismus soll Fluxus das Publikum nicht irritieren oder schockieren. Vielmehr steht dahinter die Absicht, die Leute mit einzubeziehen, eine demokratische Form von Kunst zu sein. Wichtig ist zudem die Vergänglichkeit, sowohl des menschlichen Lebens als auch der Gegenstände.
Ein Streichholz anzünden und zusehen, wie es verbrennt. Oder einen Raum schaffen, in dem alle Gegenstände nur halb sind und das Publikum dazu angehalten wird, sich die andere Hälfte dazuzudenken. Yoko Onos Kunst ist Fluxus pur.
Auch die in Frankfurt fotografisch festgehaltenen Instruction Paintings geben Einblicke in den Fluxus. Hier gibt Ono Anweisungen, was mit den ausgestellten Bildern geschehen, respektive was das Publikum mit ihnen machen soll: Beispielsweise ein Bild zerschneiden und zusehen, wie der Wind es zerstreut. Oder die Originalbilder unter dem Motto «destroy the original» erst fotografieren, dann zerstören.
Die Instruction Paintings waren meist nicht viel mehr als Stofffetzen, die an der Wand hängen oder am Boden liegen. Dies steht für ein weiteres Element, das sich durch Yoko Onos Kunst zieht: Der Abschied vom Objekt-Fetischismus, von mit goldenen Rahmen umfassten Gemälden oder auf hohen Sockeln ausgestellten Statuen. Wichtig ist nicht der ausgestellte Gegenstand, sondern die Idee und das Konzept, die hinter dem Objekt stecken.
Das Unangenehme suchen Yoko Ono lebt den Fluxus, das Fliessende, das Vergängliche: «Alles, was man im Leben macht, ist ein Event», sagt sie. Das Leben als eine Live-Performance, als einziger grosser Lernprozess, als fliessendes Ereignis, das notwendigerweise endlich ist.
So ist Yoko Onos Leben ihre Kunst – und ihre Kunst ihr Leben. Die 1933 in Tokio geborene Künstlerin hat in ihrer Kindheit und Jugend viele prägende Erfahrungen gesammelt, die sich später auf ihr künstlerisches Schaffen auswirkten. Einsamkeit, Konfrontation mit dem Zweiten Weltkrieg, das Hin- und Hergerissensein zwischen westlicher und östlicher Kultur und ein Mangel an familiärer Geborgenheit bilden die Grundlage für die Intensität und Tiefgründigkeit, die Onos Kunst auszeichnen.
Dies wird beispielsweise in der bekannten Performance Cut Piece deutlich, die 1964 in Tokio uraufgeführt wurde und die in Frankfurt filmisch und fotografisch dokumentiert ist. Yoko Ono sitzt auf einer Bühne und weist das Publikum an, ihr die Kleider vom Leib zu schneiden. Sie schafft damit die paradoxe Situation, dass das Opfer die Täter explizit zum Handeln auffordert – eine merkwürdig sado-masochistische Aktion, die damit endete, dass Yoko Ono nackt auf der Bühne sass und sich dabei sehr unwohl fühlte – obwohl sie es nicht anders gewollt hatte. Yoko erklärte später, dass sie sich so in der Zen-Tradition gesehen habe, wonach man immer das tun soll, was einem «am unangenehmsten» ist.
Dinge tun, die man nicht tut. Sich mit Ideen und Konzepten Naturgesetzen widersetzen. Sich das, was nicht visualisierbar ist, dazudenken. Davon lebt Yoko Onos Kunst. Mit ihrer nie endenden Produktivität und sprühenden Kreativität setzt sich Ono nicht zur Ruhe. An einer Pressekonferenz 2012 liess sie auf die Frage, was sie denn als nächstes plane, verlauten, man solle sich überraschen lassen. Bis dahin können wir also gespannt sein und den Steinen beim alt werden zuhören.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2013