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Von Büchner bis Zürich

Von Heike Ger­ling — Bis zum 1. Juni war im Zürcher Lit­er­atur­mu­se­um Strauhof eine Ausstel­lung zu sehen, die an das Leben und Werk Georg Büch­n­ers erin­nerte. Neben der beson­deren Bedeu­tung und Qual­ität seines lit­er­arischen Werks gibt es dabei einen unmit­tel­baren Bezug zu Zürich: Im Okto­ber 1836 war Büch­n­er als junger Wis­senschaftler und poli­tis­ch­er Flüchtling nach Zürich gekom­men und lebte hier als Pri­vat­dozent in einem kleinen Zim­mer an der Spiegel­gasse. Im Feb­ru­ar 1837 erkrank­te er an Typhus und starb wenig später daran.

Die Ausstel­lung, die let­ztes Jahr anlässlich des 200. Geburt­stags Georg Büch­n­ers von Ralf Beil, dem Direk­tor des Insti­tuts Mathilden­höhe, in Darm­stadt konzip­iert und dort in grösserem Rah­men mit mehr Exponat­en gezeigt wurde, ist in Zürich von Roman Hess an die Räum­lichkeit­en des Muse­ums Strauhof angepasst wor­den, und zwar so, als wäre sie dafür von vorn­here­in entwick­elt wor­den: Wichtige Leben­sphasen und Aspek­te von Büch­n­ers Schaf­fens schienen die kabi­net­tar­ti­gen Räume des kleinen Muse­ums, in denen sie ver­an­schaulicht wur­den, ger­adezu zu bewohnen; wer die Ausstel­lung besuchte, kon­nte sich ein­er­seits vom geisti­gen Leben des Autors, von der Entwick­lung seines Denkens und Schaf­fens ein Bild machen; ander­er­seits kon­nte man dabei auch einen Ein­blick in die Zeit gewin­nen, in der Büch­n­er lebte: Sie war geprägt von extremen sozialen und poli­tis­chen Gegen­sätzen und hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen zwis­chen rev­o­lu­tionären und restau­ra­tiv­en Kräften. Büch­n­er reagierte sehr sen­si­bel auf die poli­tis­chen Ver­hält­nisse sein­er Zeit und ver­suchte sie auch sel­ber zu bee­in­flussen. Mit seinem lit­er­arischen und pub­lizis­tis­chen Schaf­fen gilt er heute als ein­er der bedeu­tend­sten Autoren des Vor­märz, der oppo­si­tionellen poli­tis­chen Lit­er­atur der Jahrzehnte vor der deutschen Märzrev­o­lu­tion 1848.

In Darm­stadt war Büch­n­er in einem bürg­er­lichen Eltern­haus aufgewach­sen, das ihm eine aus­geze­ich­nete Schul­bil­dung ermöglichte. 1831 nahm er ein Studi­um der ver­gle­ichen­den Anatomie an der Medi­zinis­chen Fakultät in Strass­burg auf, das er auf­grund der poli­tis­chen Rah­menbe­din­gun­gen 1833 in Giessen fort­set­zen musste. Nach dem offeneren geisti­gen Kli­ma Strass­burgs und Frankre­ichs nach der Julirev­o­lu­tion erlebte Büch­n­er im heimis­chen Großher­zog­tum Hes­sen die Willkür und Gewaltherrschaft der dor­ti­gen Obrigkeit. Er reagierte darauf 1834 mit der sozial­rev­o­lu­tionären Flugschrift «Der hes­sis­che Land­bote», die er zusam­men mit Friedrich Lud­wig Wei­dig veröf­fentlichte. Büch­n­er bezog darin Posi­tion gegen die Herrschaft der Fürsten­häuser und rief zum Wider­stand gegen die von ihnen prak­tizierte Aus­beu­tung und Unter­drück­ung der Bevölkerung auf.

1835 veröf­fentlichte er das Dra­ma «Dan­tons Tod», das sich mit der Schreck­en­sh­errschaft am Ende der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion auseinan­der­set­zte. Nach ein­er Vor­ladung beim Unter­suchungsrichter, der er nicht fol­gte, wurde er steck­brieflich gesucht und floh zunächst nach Strass­burg. Er schloss seine Dis­ser­ta­tion «Abhand­lung über das Ner­ven­sys­tem der Barbe» ab, legte sie im Juli 1836 der Philosophis­chen Fakultät der 1833 gegrün­de­ten Uni­ver­sität Zürich vor und wurde zum Dok­tor der Philoso­phie ernan­nt. Im Okto­ber zog er nach Zürich, um hier seine wis­senschaftliche Tätigkeit fortzuset­zen.

Als Büch­n­er starb, hin­ter­liess er neben seinen wis­senschaftlichen und philosophis­chen Stu­di­en ein schmales lit­er­arisches Werk, das erst allmäh­lich pub­liziert und in sein­er beson­deren Qual­ität anerkan­nt wurde. Zu seinen Lebzeit­en hat­te er nur das Dra­ma «Dan­tons Tod» veröf­fentlicht. Das satirische Lust­spiel «Leonce und Lena», die Erzäh­lung «Lenz» und das Dra­ma «Woyzeck» wur­den posthum veröf­fentlicht. «Woyzeck» blieb ein Frag­ment, ist heute aber den­noch eines der am meis­ten gespiel­ten Stücke im deutschsprachi­gen Raum.

Zur Zeit von Büch­n­ers Flucht besass der Kan­ton Zürich eine lib­erale Asylge­set­zge­bung, die ihm und vie­len weit­eren Exi­lanten Schutz vor der Ver­fol­gung durch ihre Heimatlän­der gewährte. Im Gefolge der Paris­er Julirev­o­lu­tion hat­te sich der Kan­ton Zürich nach hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen zu einem lib­eralen Freis­taat mit repräsen­ta­tiv­er Ver­fas­sung entwick­elt, die neben der Gle­ich­berech­ti­gung von Stadt und Land auch Gewal­tenteilung, Volkssou­veränität, Presse- und Gewer­be­frei­heit garantierte. Ab 1831 war der Kan­ton Zürich damit ein Vor­bild lib­eraler Bestre­bun­gen für ganz Europa.

1833 wurde die Uni­ver­sität Zürich gegrün­det, als «die erste Uni­ver­sität Europas nicht von einem Lan­des­fürsten oder von der Kirche, son­dern von einem demokratis­chen Staatswe­sen»: Die Web­seite der Uni­ver­sität weist heute auf diesen wichti­gen sozialpoli­tis­chen Aspekt expliz­it hin. 2012 schloss dieselbe Uni­ver­sität einen 100-Mil­lio­nen-Spon­sor­ingver­trag mit der Gross­bank UBS ab, der ihre wis­senschaftliche Unab­hängigkeit mas­siv in Frage stellt.

Georg Büch­n­er, ehe­mals Pri­vat­dozent dieser Uni­ver­sität, set­zte sich für demokratis­che Grundw­erte ein, die uns heute (noch?) selb­stver­ständlich scheinen. Die Lit­er­atur des Vor­märz gab über die Zeit der deutschen Märzrev­o­lu­tion 1848/49 und die fol­gende Epoche der Reak­tion hin­aus wichtige sozialpoli­tis­che Impulse, die später ins­beson­dere von den Sozialdemokrat­en aufge­grif­f­en wur­den.

Es wäre ein makabres Eigen­tor, wenn aus­gerech­net Corine Mauch, eine der SP ange­hörende Zürcher Stadt­präsi­dentin, das Lit­er­atur­mu­se­um Strauhof, das u.a. an Grundw­erte ihrer eige­nen Partei erin­nert, tat­säch­lich schliessen und ihre Entschei­dung vom let­zten Novem­ber nicht kor­rigieren würde. Der Hafenkran, dessen tem­poräre Instal­la­tion übri­gens mehr als die Hälfte der jährlichen Betrieb­se­tats des Muse­ums Strauhof ver­schlingt, würde umso mehr zu ein­er hohlen Geste, die eine Weltläu­figkeit Zürichs bloss behauptet – aber kaum mehr ist als ein Stadt­mar­ket­ing-Instru­ment.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014

Artikel online veröffentlicht: 10. April 2019