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Von oben kommt

Von Peter J. Betts — Von oben kommt nur dann ein biss­chen Gutes, wenn die unten ihr Äusser­stes gegeben haben. Kön­nte nicht diese sarkastis­che Behaup­tung zu unum­stösslichen Hier­ar­chien fast von Bert Brecht stam­men? Die Sub­sidiar­ität (gemäss Fis­ch­er Lexikon 1975) «ist ein natur­rechtlich abgeleit­etes Prinzip der katholis­chen Soziallehre, nach dem kleinere Gemein­schaften (z. B. Fam­i­lie, Gemeinde) von den grösseren Sozial­ge­bilden (z. B. Staat, Ver­bände) unter­stützt und ergänzt, aber nicht erset­zt wer­den sollen». Und dann wird man gle­ich auf den Begriff «Sol­i­daris­mus» ver­wiesen. Und genau dort liegt wohl der Hund begraben. Sub­sidiar­ität ist mit­tler­weile auch ein Prinzip der Kul­tur­förderungspoli­tik in der Schweiz. Wenn beispiel­sweise eine Schrift­stel­lerin über lange Zeit neben ihrem «Brot­beruf» (in dem natür­lich ihr voller Ein­satz erwartet wird) ihre Augen und den Rück­en in eigen­er Mis­sion, also dort, wo sie den Haupt­beruf per­sön­lich ortet, genü­gend mit Schreiberei geschwächt hat und dabei ein paar Werke ent­standen sind, auf die eine städtis­che Lit­er­aturkom­mis­sion aufmerk­sam gewor­den ist, möchte diese Kom­mis­sion vielle­icht der Frau einen Werk­beitrag ver­mit­teln, damit sie ein paar Monate, während eines unbezahlten Urlaubes, ohne Geld­sor­gen am lit­er­arischen Meis­terin­nen­werk arbeit­en kann. Zu Ehren der find­i­gen Kom­mis­sion, let­ztlich. Dass der Frau bish­eriger Ein­satz, der sich in Geld nicht bez­if­fern lässt, selb­stver­ständlich – nicht nur in puri­tanis­ch­er Sichtweise betra­chtet – als Eigen­leis­tung eingestuft wird, die unab­d­ing­bare Voraus­set­zung fürs Ganze, das vielle­icht fol­gen wird, ver­ste­ht sich von selb­st. Aber halt: Sie wohnt ja in All­mendin­gen (beispiel­sweise) und nicht in der Stadt (natür­lich wer­den ihre Büch­er vor allem in der Kern­stadt gele­sen und kaum in der kleinen Hun­dert­see­lenge­meinde in deren Nähe, die nicht ein­mal über ein «Kul­tur­bud­get» ver­fügt!); die Stadt «kann nicht vor­ange­hen»! Man bear­beit­et die Wohnge­meinde – erfol­gre­ich. Sie spricht einen Werk­beitrag von Fr. 500, also pro Kopf 5 Franken. Über die Höhe macht sich die Kom­mis­sion lustig und spricht beispiel­sweise – sub­sidiär – Fr. 30’000: Pro Kopf etwa 25 Rap­pen. Jet­zt sind die Voraus­set­zun­gen auch für den Kan­ton gegeben: Er spricht Fr. 30’500.- (pro Kopf noch sehr viel weniger). Sub­sidiar­ität: Unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen. Von oben nach unten. Immer. Ein göt­tlich­es Gesetz. Nur wenn die Stadt vor­ange­ht, bezahlt auch der Kan­ton. Falls er will. Wenn die Stadt bezahlt, heisst das näm­lich noch lange nicht, dass der Kan­ton das auch tun muss. Er kann. Wenn er will. Seine Sou­veränität und seine hier­ar­chis­che Posi­tion sind heilig. Nun, in Deutsch­land etwa gibt es seit 1995 eine pri­vate Stiftung, sie wurde 1995 von Erich Fis­ch­er gegrün­det und ist als gemein­nützig anerkan­nt: Die «Inter­na­tionale Stiftung zur Förderung von Kul­tur und Zivil­i­sa­tion» ist eine von rund 2’000 Stiftun­gen in Bay­ern. Die Ver­ab­schiedung des Pri­vat­s­tiftungs­ge­set­zes auf Bun­de­sebene im Jahr 1993 hat Pri­vat­per­so­n­en die Ein­rich­tung von Stiftun­gen für kul­turelle und soziale Zwecke wesentlich erle­ichtert. Auf der Inter­net­seite der Stiftung (www.internationalestiftung.de) find­en Sie einen Gedanken Thomas Manns aus dem Jahr 1939, der die Stiftungsziele verdeut­licht: «Demokratie ist nichts anderes als der poli­tis­che Aspekt des Geistes … Ich sehe heute, dass sich der deutsche Bürg­er im Irrtum befand, als er glaubte, der Men­sch könne kul­tiviert und unpoli­tisch sein.» Aus­sage eines Schrift­stellers — mit Fol­gen. Offen­bar hat Erich Fis­ch­er nachgedacht. Auch das mit Fol­gen. Ziele der Stiftung sind: 1. Die Förderung von Kun­st und Kul­tur, hier vor allem auf dem Gebi­et der Musik. Dies will die Stiftung «durch Auf­führung ver­nach­läs­sigter Kom­po­si­tio­nen aller Epochen und die Auf­führung von Büh­nen­werken ver­nach­läs­sigter Autoren, zum Beispiel die Auf­führung von Rolf Hochhuths «Ärztin­nen» in München sowie die all­ge­meine Förderung des Ver­ständ­niss­es
von Kunst­werken und Kün­stlern, vor allem auf dem Gebi­et der Musik» erre­ichen, lesen Sie in ein­er Broschüre der Stiftung: 2. Das Weit­er­en­twick­eln der Zivil­i­sa­tion, vor allem durch eine Human­isierung des Strafvol­lzugs. 3. Das Verbessern der Lebens­be­din­gun­gen älter­er Men­schen. Die Inten­tion der Stiftung wird durch das Stiftungsl­o­go versinnbildlicht: Das Logo ist angelehnt an eine Skulp­tur im Garten Johann Wolf­gang von Goethes in Weimar. Sie trägt den Namen «Stein zum guten Glück». Das Logo verbindet die Kugel als Sym­bol für die Unberechen­barkeit des Laufs des Glücks und den Kubus als Sym­bol für den Ver­such, die Welt ratio­nal zu bewälti­gen. In dem Punkt, in dem sich bei­de berühren, verbindet sich das Utopis­che mit dem Notwendi­gen, das es zu ver­wirk­lichen und zu fördern gilt. Die Stiftung verbindet ihre Schw­er­punk­te in diversen Pro­jek­ten. Wichtiger Bestandteil ist die Musik. In der Rei­he «Musik am Nach­mit­tag» sollen einan­der junge und alte Men­schen begeg­nen. Beruf­s­musik­erIn­nen sor­gen für einen hohen Stan­dard. «Tou­jours Mozart» bietet neben qual­i­ta­tiv hochw­er­ti­gen Konz­erten und der Förderung von Nach­wuchsmusik­ern «Mozart für jed­er­mann» in schönem Ambi­ente an ver­schiede­nen Orten und zu gün­sti­gen Preisen – erschwinglich für ALLE. Damit will die Stiftung jen­seits des etablierten Konz­ert- und Fest­spiel­be­triebs Men­schen den Zugang zur Musik öff­nen. «Musik statt kom­mu­nizieren» wen­det sich an Schüler und will die Lust am sel­ber Musizieren fördern. Ein ander­er Ansatz ist «Schach für Schüler»: Das Pro­jekt will jun­gen Men­schen (und, wie Sie unten sehen: auch Strafge­fan­genen) Selb­stver­trauen geben und soziale Kom­pe­tenz stärken: Die Fähigkeit, sich mit friedlichen Mit­teln auseinan­der zu set­zen. Pro­jek­tleit­er ist der inter­na­tionale Meis­ter und Päd­a­goge Win­fried Taeger. Beson­dere Aufmerk­samkeit erlangten die Pro­jek­te «Ausweg» und «Weg­weis­er». Die bei­den Pro­jek­te sind Teil von Amnesty Nation­al. Unter diesem Begriff hat die Stiftung eine ganze Rei­he von Mass­nah­men für straf­fäl­lig gewor­dene Men­schen ini­ti­iert. Ein Schw­er­punkt zum Beispiel war «Musik hin­ter Git­tern». Unter dem Mot­to «Amnesty Nation­al» hat die «Inter­na­tionale Stiftung zur Förderung von Kul­tur und Zivil­i­sa­tion» drei Mod­ell­pro­jek­te zum The­ma «Neue Wege der Haftver­mei­dung» auf den Weg gebracht, und zwar in Koop­er­a­tion mit den Jus­tizmin­is­te­rien in Bay­ern, Meck­len­burg-Vor­pom­mern und Nieder­sach­sen. Im Einzel­nen han­delt es sich um Pro­jek­te zur Schadenswiedergut­machung im Sinne eines «Täter-Opfer-Aus­gle­ichs» (Bay­ern), zur Ver­mei­dung und Verkürzung von Unter­suchung­shaft durch frühzeit­ige Strafvertei­di­gung (Nieder­sach­sen) sowie zur Ver­mei­dung von Ersatzfrei­heitsstrafen durch gemein­nützige Arbeit (Meck­len­burg-Vor­pom­mern). Weit­ere Aktiv­itäten wie eben zum Beispiel «Musik hin­ter Git­tern» oder «Schach hin­ter Git­tern» inte­gri­eren auch den Bere­ich «Kul­tur» in die «Amnesty-National»-Tätigkeiten. Unter dem Begriff «Amnesty Nation­al» sub­sum­iert die Stiftung ver­schiedene Aktiv­itäten, die in Zusam­me­nar­beit mit Lan­desjus­tizmin­is­te­rien und der VW-Stiftung durchge­führt wur­den. Sie wer­den sich vielle­icht fra­gen, was Schadenswiedergut­machung, Haftver­mei­dung und Strafvol­lzug mit Kul­tur zu tun haben. Die Antwort find­en Sie, wenn Sie Kul­tur nicht als einen engen, auf die Ver­mit­tlung musis­ch­er Werte begren­zten Begriff definieren, son­dern umfassender. Zu Kul­tur und Zivil­i­sa­tion gehört die Diskus­sion von ethis­chen und moralis­chen Fra­gen, die sich in den Pro­jek­ten der Stiftung in prak­tis­chem Han­deln real­isiert. Ziel ein­er sin­nvollen Kul­tur­poli­tik kön­nte sein, auch das Kul­turschaf­fen im engeren Sinne, also alles, das mit den Kün­sten zu tun hat, in den All­t­ag zu inte­gri­eren. Und: Sub­sidiar­ität braucht, wie das Beispiel aus Deutsch­land zeigen mag, dur­chaus nichts mit gelebter Bürokratie oder mit Hier­ar­chien zu tun zu haben.

ensuite, Jan­u­ar 2009

Artikel online veröffentlicht: 28. Juli 2018