Von Hannes Liechti — Gedanken zum Musikfestival Bern 2009: Grundsätzlich ist ein vielfältiges kulturelles Programm in der Hauptstadt durchaus zu befürworten und zu unterstützen. Dazu gehören auch Veranstaltungen wie jene des Berner Musikfestivals, welches dieses Jahr nach dem «Veress-Jahr» 2007 zum zweiten Mal stattfindet. Trotzdem scheint mir die Umsetzung des Festivals, zumindest im Vorfeld, nicht auf voller Länge geglückt.
Patchworkartiges Programm Das diesjährige Thema lautet passend zum Internationalen Jahr der Astronomie «Musik vom Himmel». Gut, hat man sich nicht wieder für einen Komponisten entschieden, finden dieses Jahr doch bereits genug Veranstaltungen rund um die Jubilare Händel, Haydn und Mendelssohn Bartholdy statt. Unter dem Motto «Musik vom Himmel» lässt sich allerdings fast alles unter einen Hut bringen, zumindest wenn der Himmel in seinen zwei Bedeutungsebenen, der religiösen und der astronomischen, betrachtet wird. Bezeichnend ist das Konzertprogramm des Jugend Sinfonie Orchester des Konservatoriums Bern. Neben der Filmmusik zu «Star Wars» von John Williams wird eine wilde Reise durch die Musikgeschichte angekündigt: Angefangen im Wien der Vorklassik bei Carl Ditters von Dittersdorf über das Musikdrama «Tannhäuser» von Richard Wagner bis hin zu Glen Millers «Moonlight Serenade». Wo der Bezug zum Himmel ein stimmiges Programm verhindert, ist andernorts das Gegenteil der Fall: Das Konzert des Ensemble Accordone dreht sich rund um die «Sternstunde der Musikgeschichte 1600». In diesen Jahren entstehen zugleich Arie und Oper und eine neue, den Affekten der menschlichen Seele gewidmete, musikalische Ausdruckskunst etabliert sich. Ein zusammenhängendes Programm, das den Bezug zum Himmel, welcher sich letztendlich praktisch überall finden lässt, eher krampfhaft sucht.
Dieser patchworkartige Charakter zeichnet das gesamte Programm des Musikfestivals aus und ist offenbar von dessen Organisatoren gewollt: «Die Vieldeutigkeit des Mottos ist bewusst gewählt und gewährt den Veranstaltern einen entsprechend grossen Handlungsspielraum», schreibt das Musikfestival in einer Pressemitteilung.
Ein Festival ohne Charme und Wärme Das vielschichtige und abwechslungsreiche Programm könnte durchaus auch als Chance begriffen werden. Für eine erfolgreiche Umsetzung wäre dann aber eine unverkennbare Festivalatmosphäre von Nöten. Eine solche fehlte bei der ersten Ausgabe des Festivals vor zwei Jahren jedoch gänzlich. Das Festival wurde zwar in einem einheitlichen Programm als solches angekündigt, war aber letztlich eine aus lose miteinander verbundenen Konzerten bestehende Veranstaltung. Abgesehen von den omnipräsenten Festivalplakaten fand sich an den Konzerten nichts, was den BesucherInnen ein Gefühl vermitteln konnte, ein Festival zu besuchen. Ein Festival ohne Charme und Wärme. Das muss sich dieses Jahr nicht unbedingt wiederholen: Auf dem Papier existiert ein durchaus attraktives Gesamtkonzept. Sternkonstellationen verbinden die einzelnen Konzerte miteinander und das Festivalprogramm wird durch eine ornithologische Führung sowie durch Sternbeobachtungen in der Sternwarte bereichert. Die Umsetzung dieses Programms in ein Festival mit eigenem Charme ist aber etwas anderes und man darf gespannt sein, ob es dieses Jahr gelingt.
Heiligenfigürchen aus Stein Neben den regulären Abonnementskonzerten wartet das Programm auch mit einigen spezielleren Veranstaltungen auf: Darunter die Konzerte von HUGO (Siehe Interview Seite 10), ein Konzert mit römischer Mehrchörigkeit und zahlreiche Konzerte zum «Himmlischen Hof» des Berner Münsters. Die Idee klingt vielversprechend: Im Rahmen eines Förderprojektes komponierten Studierende von Schweizer Hochschulen Stücke zu den total 87 Heiligenfigürchen, die sich im Berner Münster im sogenannten «Himmlischen Hof» befinden. Allerdings stellt sich hier die Frage nach dem Sinn dieser Veranstaltungsreihe, wenn Kompositionen bereits in einem anderen Zusammenhang aufgeführt wurden oder sich ein Dozent aus Zürich als Atheist damit begnügt, nur den «Stein» als solches zu vertonen und die Bedeutung der Figur selbst unbeachtet lässt. Nun, das Publikum, das in der Kirche sitzt, erfährt davon nichts.
Netzwerke stehen im Zentrum «Das Festival soll helfen, die Berner Kulturszene vereint auftreten zu lassen und somit besser zu vernetzen», sagt Hanspeter Renggli, Präsident des Vereins Musikfestival Bern. «Dabei wollen wir der Politik zeigen, wie vielfältig unsere Szene ist», erklärt er weiter. Die Herstellung von Netzwerken innerhalb der Kulturszene steht also im Zentrum des Festivals. Das ist schade, denn dazu ist keine spezielle Festivalatmosphäre notwendig und die Gefahr eines elitären Stelldicheins besteht. Es wird auch nicht versucht, neue Publikumsschichten für klassische Musik zu begeistern. Gerade dazu würde sich ein solches Festival jedoch vorzüglich eignen. Hanspeter Renggli entgegnet: «Es ist eine Illusion zu meinen, dass es noch ein grosses Potential nicht erschlossener Publika gäbe.» Das mag so lange zutreffen, wie sich das Festival innerhalb des traditionellen Rahmens bewegt. Wie wäre es aber mit einem Symphoniekonzert im Dachstock der Berner Reitschule oder einer Klassikdisco in einem Berner Club mit DJs, welche mit ihren Remixkünsten eine Symbiose von Techno und Klassik aufleben lassen? Interessante Ansätze würden beispielsweise das Variation-Projekt-orchester aus Bern oder die recomposed-CD-Serie der Deutschen Grammophon liefern. Auch das wären himmlische Klänge.
ensuite, April 2009