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Zehn Wahrheiten (2011)

Von Belin­da Meier — Frisch, gewieft, tem­por­e­ich und orig­inell – so präsen­tiert sich «Zehn Wahrheit­en», die erste Pro­duk­tion des Bern­er Kollek­tivs «Früh­stück auf der Szene», kurz FRADS. Anna Mess­mer und Ruth Huber inter­pretieren darin aus­gewählte Kurzgeschicht­en aus Miran­da Julys gle­ich­namiger Samm­lung und beweisen gross­es Fin­ger­spitzenge­fühl für die kleinen Finessen.

Men­schen, die an sich zweifeln, die unsich­er sind und lieber den Nähkurs für Anfänger besuchen, obschon sie bere­its ein ziem­lich hohes Lev­el haben. Men­schen, die Roman­tik-Sem­i­nare besuchen oder als Schaus­pie­lende am Film­set ihre Liebes­beziehung im wirk­lichen Leben ret­ten wollen. Und Men­schen, die auf Gedeih und Verder­ben Schwim­men ler­nen wollen, sog­ar dann noch, wenn kein Schwimm­beck­en zur Ver­fü­gung ste­ht und not­falls ein ins Gesicht gekipptes Glas Wass­er das echte Kör­per­erleb­nis im Wass­er simulieren soll. Das sind die Fig­uren in Miran­da Julys Kurzgeschicht­en­samm­lung «Zehn Wahrheit­en».

Die unschein­baren Nor­ma­los Julys Fig­uren spie­len wed­er Vor­re­it­er­rollen noch sind sie Helden oder Kämpfer­na­turen. Sie sind Nor­ma­los, aber die der unschein­bar­eren Sorte – die ewigen Zweit­en eben, weil sie sich nicht trauen. Bei Miran­da July ste­hen diese Fig­uren im Ram­p­en­licht und beweisen, dass ger­ade sie mit ihren Schüchtern­heit­en, selt­samen Marot­ten und Äng­sten unglaublich viel zu erzählen haben. Ihre Geschicht­en berühren, entzück­en und gehen ans Eingemachte. Es sind gute Geschicht­en, wirk­lich gute Geschicht­en.

Ras­ante Rol­len­wech­sel Frads haben diese Texte für die Bühne auf­bere­it­et und ein The­ater­stück der ganz beson­deren Art erschaf­fen. Zu sehen und zu hören gibt’s eine insze­nierte Lesung, bei der Anna Mess­mer und Ruth Huber Miran­da Julys Kurzgeschicht­en zum Besten geben, dabei vir­tu­os von der Erzäh­ler­rolle in die Fig­uren schlüpfen und damit die Geschicht­en zum Leben erweck­en. Die Bühne ist eine Mis­chung aus öffentlichem Vor­lesung­sort und gemütlichem Wohnz­im­mer: in der Mitte ste­ht ein Tisch mit zwei Stühlen, die von den Darstel­lerin­nen zum Vor­lesen genutzt wer­den, wenn sie nicht ger­ade eine Rolle verkör­pern; auf dem Tisch ste­hen eine Wasser­flasche, zwei Gläs­er, sowie Mane­ki Neko, diese japanis­che «Winke-Winke-Katze», die als Glücks­bringer dazu da ist, Wohl­stand her­beizuführen oder Besuch­er anzu­lock­en; den freien Platz seitlich vom Tisch ziert eine grosse Stehleuchte und im Hin­ter­grund an der Wand hän­gen nos­tal­gis­che Hasen­bilder. Die Bühne wird nun zum Ort der Lesung und zum Schau­platz der vorge­le­se­nen Geschicht­en zugle­ich.

Fig­uren, die berühren Der Zuschauer taucht ein in diese lebendi­gen Wel­ten und begeg­net den unter­schiedlich­sten Fig­uren, die teil­weise selt­sam sind, son­der­bare Dinge tun, den­noch berühren und mit ihren ander­sar­ti­gen Gedanken und Aus­sagen viel Komik erzeu­gen. So begeg­net man etwa Men­schen, «deren Gesichter von Liebe entstellt sind» oder solchen, die sich ein pflegele­icht­es Hausti­er wün­schen, im besten Falle eines, das nur einen kleinen Hunger hat. Weit­er ist von einem Jun­gen die Rede, der sich auf ein­mal zu lang­weilen begin­nt, wobei die Langeweile ein­deutig als «Form des Erwach­sen­wer­dens» beze­ich­net wird. Und schliesslich kommt auch die Beziehung zwis­chen Ellen und Karl zur Sprache, in der sich die Liebe, das Feuer und die Lust langsam aber sich­er in Luft auflösen. Was bleibt, ist Frust und Verkramp­fung. Ellen erk­lärt: «Mein Kopf will Sex, aber meine Vagi­na wartet nur darauf, das näch­ste Mal pinkeln zu gehen.» Oder: «Karl drück­te meinen Fuss nach unten, ich seinen nach oben. Aber ober­halb des Knöchels lief nichts mehr.»

Kleine Details im Fokus Mit viel Kör­pere­in­satz, Ein­füh­lungsver­mö­gen und sprach­lich­er Gewandtheit gelingt es den bei­den Darstel­lerin­nen Anna Mess­mer und Ruth Huber, ihren Fig­uren Leben einzuhauchen, ihnen Gestalt und eine Geschichte voller Über­raschun­gen, Höhen und Tiefen zu geben; Geschicht­en, die weniger das Ganze als vielmehr die winzig kleinen Details ins Licht rück­en, und damit faszinierende Entwick­lun­gen durch­laufen. Miran­da Julys «Zehn Wahrheit­en» ist eine geballte Ladung Men­schlichkeit. Kom­prim­iert, ger­afft, zuge­spitzt und damit umso inten­siv­er präsen­tiert sich die Pro­duk­tion von FRADS, die für Witz, Orig­i­nal­ität und Emo­tio­nen sorgt und damit für einen gelun­genen The­at­er­abend garantiert.

Foto: Ire­na Alle­mann
ensuite, Mai 2011

Artikel online veröffentlicht: 23. Januar 2019