Von Belinda Meier — Frisch, gewieft, temporeich und originell – so präsentiert sich «Zehn Wahrheiten», die erste Produktion des Berner Kollektivs «Frühstück auf der Szene», kurz FRADS. Anna Messmer und Ruth Huber interpretieren darin ausgewählte Kurzgeschichten aus Miranda Julys gleichnamiger Sammlung und beweisen grosses Fingerspitzengefühl für die kleinen Finessen.
Menschen, die an sich zweifeln, die unsicher sind und lieber den Nähkurs für Anfänger besuchen, obschon sie bereits ein ziemlich hohes Level haben. Menschen, die Romantik-Seminare besuchen oder als Schauspielende am Filmset ihre Liebesbeziehung im wirklichen Leben retten wollen. Und Menschen, die auf Gedeih und Verderben Schwimmen lernen wollen, sogar dann noch, wenn kein Schwimmbecken zur Verfügung steht und notfalls ein ins Gesicht gekipptes Glas Wasser das echte Körpererlebnis im Wasser simulieren soll. Das sind die Figuren in Miranda Julys Kurzgeschichtensammlung «Zehn Wahrheiten».
Die unscheinbaren Normalos Julys Figuren spielen weder Vorreiterrollen noch sind sie Helden oder Kämpfernaturen. Sie sind Normalos, aber die der unscheinbareren Sorte – die ewigen Zweiten eben, weil sie sich nicht trauen. Bei Miranda July stehen diese Figuren im Rampenlicht und beweisen, dass gerade sie mit ihren Schüchternheiten, seltsamen Marotten und Ängsten unglaublich viel zu erzählen haben. Ihre Geschichten berühren, entzücken und gehen ans Eingemachte. Es sind gute Geschichten, wirklich gute Geschichten.
Rasante Rollenwechsel Frads haben diese Texte für die Bühne aufbereitet und ein Theaterstück der ganz besonderen Art erschaffen. Zu sehen und zu hören gibt’s eine inszenierte Lesung, bei der Anna Messmer und Ruth Huber Miranda Julys Kurzgeschichten zum Besten geben, dabei virtuos von der Erzählerrolle in die Figuren schlüpfen und damit die Geschichten zum Leben erwecken. Die Bühne ist eine Mischung aus öffentlichem Vorlesungsort und gemütlichem Wohnzimmer: in der Mitte steht ein Tisch mit zwei Stühlen, die von den Darstellerinnen zum Vorlesen genutzt werden, wenn sie nicht gerade eine Rolle verkörpern; auf dem Tisch stehen eine Wasserflasche, zwei Gläser, sowie Maneki Neko, diese japanische «Winke-Winke-Katze», die als Glücksbringer dazu da ist, Wohlstand herbeizuführen oder Besucher anzulocken; den freien Platz seitlich vom Tisch ziert eine grosse Stehleuchte und im Hintergrund an der Wand hängen nostalgische Hasenbilder. Die Bühne wird nun zum Ort der Lesung und zum Schauplatz der vorgelesenen Geschichten zugleich.
Figuren, die berühren Der Zuschauer taucht ein in diese lebendigen Welten und begegnet den unterschiedlichsten Figuren, die teilweise seltsam sind, sonderbare Dinge tun, dennoch berühren und mit ihren andersartigen Gedanken und Aussagen viel Komik erzeugen. So begegnet man etwa Menschen, «deren Gesichter von Liebe entstellt sind» oder solchen, die sich ein pflegeleichtes Haustier wünschen, im besten Falle eines, das nur einen kleinen Hunger hat. Weiter ist von einem Jungen die Rede, der sich auf einmal zu langweilen beginnt, wobei die Langeweile eindeutig als «Form des Erwachsenwerdens» bezeichnet wird. Und schliesslich kommt auch die Beziehung zwischen Ellen und Karl zur Sprache, in der sich die Liebe, das Feuer und die Lust langsam aber sicher in Luft auflösen. Was bleibt, ist Frust und Verkrampfung. Ellen erklärt: «Mein Kopf will Sex, aber meine Vagina wartet nur darauf, das nächste Mal pinkeln zu gehen.» Oder: «Karl drückte meinen Fuss nach unten, ich seinen nach oben. Aber oberhalb des Knöchels lief nichts mehr.»
Kleine Details im Fokus Mit viel Körpereinsatz, Einfühlungsvermögen und sprachlicher Gewandtheit gelingt es den beiden Darstellerinnen Anna Messmer und Ruth Huber, ihren Figuren Leben einzuhauchen, ihnen Gestalt und eine Geschichte voller Überraschungen, Höhen und Tiefen zu geben; Geschichten, die weniger das Ganze als vielmehr die winzig kleinen Details ins Licht rücken, und damit faszinierende Entwicklungen durchlaufen. Miranda Julys «Zehn Wahrheiten» ist eine geballte Ladung Menschlichkeit. Komprimiert, gerafft, zugespitzt und damit umso intensiver präsentiert sich die Produktion von FRADS, die für Witz, Originalität und Emotionen sorgt und damit für einen gelungenen Theaterabend garantiert.
Foto: Irena Allemann
ensuite, Mai 2011