Zwei Komposit-Bilder: Giuseppe Arcimboldo: «Terra» und Abdullah al-Hussaini: «Elefant mit Reiter und Führer»

Von Alfre­do Mein­ra­di - Es dürfte im Europa der Spätre­nais­sance wenige Maler geben, deren Werk durch Orig­i­nal­ität mit gle­ich­er Inten­sität bis in die Gegen­wart strahlt wie jenes des Ital­ieners Giuseppe Arcim­bol­do (1527–1593). Aus Mai­land gebür­tig, arbeit­et er von 1564 an zusam­men mit dem Human­is­ten und Poet­en Gio­van­ni Bat­tista Fonteo am Hof Kaiser Max­i­m­il­ians II. in Wien. Sein Ruhm grün­det ein­er­seits in der aussergewöhn­lichen kün­st­lerischen Kön­ner­schaft, vor allem aber in der Skur­ril­ität und Ver­rät­selung sein­er Porträts, Kom­posit-Porträts genan­nt, die er aus Frücht­en, Gemüse, Blu­men, Tieren, Büch­ern, Gebrauchs­ge­gen­stän­den des Haushalts und des Gewerbes sowie gar aus Kinder­le­ichen (Porträt des König Herodes) kom­poniert. Sie zeu­gen von präzisen Naturstu­di­en, wie sie in kun­sthis­torischen Doku­menten aus jen­er Zeit nachzule­sen sind. So kön­nen auf dem Porträt «Früh­ling» (Madrid, Real Acad­e­mia de Bel­las Artes de San Fer­nan­do) nicht weniger als 80 Pflanzenarten iden­ti­fiziert wer­den. Sein Œuvre ist beträchtlich, es reicht von Umkehrbildern über enig­ma­tis­che alle­gorische Darstel­lun­gen bis zu fan­tastis­chen Kom­posit-Porträts. Die bekan­ntesten sind die «Vier Jahreszeit­en» (1563–1573) und die «Vier Ele­mente» (1566). Wer ver­lässt wohl das Kun­st­mu­se­um Wien, ohne hin­geris­sen und amüsiert vor Arcim­bol­dos «Som­mer» und «Win­ter» ver­weilt zu haben? Die bei­den sind kom­pos­i­torisch aufeinan­der hin gestal­tet, jew­eils face à face, und von üppigem Reich­tum an ver­ar­beit­eten Motiv­en.

Das Kom­posit-Porträt «Ter­ra» ist eine für den Kün­stler nachger­ade typ­is­che Kom­po­si­tion, aus der vir­tu­os-orig­inelle Meis­ter­schaft spricht. Dem Manieris­mus der Spätre­nais­sance verpflichtet, läuft es dem drei­hun­dert Jahre später aufk­om­menden Sur­re­al­is­mus voraus: Vor einem dun­klen Hin­ter­grund ist ein nach rechts gewandtes halb­seit­iges Män­ner­porträt mit knol­liger Nase und halb geöffnetem Mund dargestellt, das aus eng ineinan­der kun­stvoll ver­schlun­genen Tierkör­pern beste­ht. Zu erken­nen sind ein Ele­fant, ein Löwe mit offen­em Maul, ein Wid­der mit Fell, eine Kuh, ein Hase, ein Leop­ard, Katzen, ein Wild­schwein, Hirsche, Gazellen und Antilopen, ein Affe, ein Esel, Ziegen, ein Stein­bock, ein Elch, ein Kamel, eine Gämse, ein Pferd. Wahrhaftig eine ein­drück­liche Hom­mage an die buch­stäblich phänom­e­nale zool­o­gis­che Arten­vielfalt! Alle Tiere scheinen zu leben, mit Aus­nahme des Wid­ders und des Löwen – sie haben die Augen geschlossen. Dabei fällt eine Sym­bo­l­ik spon­tan ins Auge, die auf die Entste­hungszeit in Wien weist, wo Arcim­bol­do als Hof­maler arbeit­et. Es sind Anspielun­gen auf das Hab­s­burg­er Herrscher­haus: Gewei­he und Hörn­er for­men die Kaiserkro­ne, Löwenkopf und Löwen­fell deuten auf das Kön­i­gre­ich Böh­men hin. Wom­öglich meint allerd­ings das Löwen­fell jenes von Herkules, von dem sich die Hab­s­burg­er abstam­mend denken. Der Wid­derkopf, dessen Fell über die Brust des Porträtierten gelegt ist, alle­gorisiert das Gold­ene Vlies, den hab­s­bur­gis­chen Hau­sor­den. Ver­weise zur Deu­tung der Alle­gorien von Arcim­bol­dos Werk und von «Ter­ra» im Beson­deren find­en sich in den doku­men­tarischen Gedicht­en des genan­nten Gio­van­ni Bat­tista Fonteo, die in Bologna ver­wahrt wer­den.

Schi­er unglaublich klingt der fol­gende koinzi­dierende Sachver­halt: Es existiert ein Album­blatt in Quer­for­mat aus der soge­nan­nten Akbar-Peri­ode (Moghul-Kaiserzeit), mut­masslich gegen 1600 ent­standen, des namhaften Miniatur­malers Abdul­lah al-Hus­sai­ni. Er ist ein Zeitgenosse Arcim­bol­dos. Die Miniatur stellt einen aus Tieren und Men­schen kom­ponierten laufend­en Ele­fan­ten mit Reit­er dar, von einem Führer weg­weisend durch eine zurück­hal­tend und annäh­ernd mono­chrom angedeutete Land­schaft geleit­et. Das Blatt ist nicht weniger skur­ril-figür­lich gestal­tet als die Porträts von Arcim­bol­do, dazu in erlesen­er Far­ben­pracht abges­timmt: Tiere und Men­schen, auss­chliesslich.

 

Bild oben: Abdul­lah al-Hus­sai­ni: «Ele­fant mit Reit­er und Führer», Album­blatt mon­tiert, 25x38,8 cm, Rück­seite in Nastaliq sig­niert, Akbar-Peri­ode um 1600

Bild rechte Seite: Giuseppe Arcim­bol­do: «Ter­ra», Öl auf Pap­pel­holz, 70x49 cm, 1570

Fotos: Alfre­do Mein­ra­di

Artikel online veröffentlicht: 5. Dezember 2019