Von Sandro Wiedmer — Eine Zukunftsvision, aber keine Science Fiction: Eine Parallelwelt, in welcher einiges zu Ende gedacht wird, was unterschwellig heute vorhanden ist, eine zerbrochene Parabel, welche das Absurde der Gegenwart vor Augen führt. Eine eisgekühlte Komödie.
Schon mit «Kynodontas»/«Dogtooth» (2009), mit dem er international für Aufmerksamkeit sorgte, und «Alpeis»/«The Alps» (2011), hat der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos im Verbund mit dem Drehbuchautor Efthymis Fillipou diesen eigenartigen Humor auf die Leinwand gebracht, den das Gespann nun mit dem englischen Debut «The Lobster» weiter entwickelt und regelrecht zelebriert. Eine unterkühlte Art von Satire, ausgehend von absurden Voraussetzungen, nur zu reale Tatsachen in den Vordergrund schiebend, bisweilen auch ein Tabu brechend um auf den Punkt hinzuweisen, auf den das Ganze nie gebracht wird. Ist es in «Dogtooth» die dysfunktionale Familie, die gnadenlos zerzaust wird, mit den Eltern, die ihre Sprösslinge um jeden Preis von allem Übel fernzuhalten trachten, in «The Alps» der Umgang mit dem Tod, der unverblümt zur Sprache kommt, die Filmemacher entlassen uns mit mehr Fragen, als uns befremdende Bilder vorgesetzt werden. Nun folgt mit «The Lobster» eine Abhandlung über romantische Beziehungen, wie sie frostiger nicht sein könnte.
Für Einzelgänger gibt es ein luxuriöses Hotel-Resort, in welchem den nach eineinhalb Monaten nach ihrer Einlieferung nicht zu einer Paarung Gekommenen bloss noch die Wahl für ein Tier bleibt, als das sie wiedergeboren werden wollen. Ein von Frau und Kindern verabscheuter Vater trifft nach der Scheidung mit einem Hund ein, seinem Bruder, der es vor Monaten nicht geschafft hat, eine Partnerschaft zu finden. Falls auch er scheitert, will er selbst als Hummer («Lobster») wiedergeboren werden: der lebt angeblich hundert Jahre lang, und bleibt bis zuletzt fruchtbar. Ein hohes Ziel angesichts der gestrengen Regeln des Hotels, welches neben der Abendunterhaltung durch die Führung auch obligatorische Jagdpartien mit Betäubungsgewehren auf Einzelgänger veranstaltet.
Auf den Verlauf der Handlung einzugehen würde zu viel Raum beanspruchen, es soll hier der Hinweis genügen, dass der Mann vom Regen in die Traufe findet. Es gibt eine Gegenbewegung in den weitläufigen Wäldern um das Hotel, und da sind Beziehungen jeglicher Art strikt verboten. Schon ein Kuss bedeutet zerschnittene Lippen, und für weitergehende Gemeinsamkeiten unter den Vereinzelten sind weit drakonischere Strafen angesagt. Ein wahrer Zauberwald, in dem immer wieder irgendwelche Tiere durch das Bild geistern. Ausgerechnet da findet er seine mit verwandten Defekten ausgestattete Partnerin, in die er sich verliebt: es ist die Kurzsichtigkeit, die beide verbindet.
Die Komödie vereint einen wohltuend entspannten Colin Farrell, einen lispelnden John C. Reilly, einen hinkenden Ben Whishaw, eine in den Wäldern um das Hotel dominierende Léa Seydoux mit einer extrem bösen Aura, die mit dem Makel der Kurzsichtigkeit dem Gebrechen Farrells entsprechende Rachel Weisz, und einen grossen Teil des Casts der vorhergehenden Filme in einer surrealen Farce, die sich gut geölt, aber verhalten langsam zu einer Geschichte ausbreitet, die befremdet weil sie berührt, oder berührt weil sie befremdet, so genau lässt sich das nicht bestimmen. Wohl deshalb, weil da vor allem Fragen zurückbleiben, hat sich kein Verleih in der Schweiz gefunden. Trotz dem Preis der Jury in Cannes 2015, trotz den offensichtlichen Qualitäten des Films, froh darf sein, wer ihn dank der Initiative eines Kinos auf der Leinwand sehen kann. Für alle anderen: DVD und BluRay sind nun auch schon erhältlich, und der Trip lohnt sich.
«The Lobster» (IRL,UK,GREECE,F, 2015), Regie: Yorgos Lanthimos, mit Colin Farrell, Rachel Weisz, John C. Reilly, Léa Seydoux, Ben Whishaw, Angeliki Papoulia, 118 Min.