Von Lejla Šukaj — Das kleine aber feine Thuner Literaturfestival LITERAARE gehört mittlerweile zu einem festen Bestandteil des kulturellen Geschehens im Kanton Bern. Das am ersten Märzwochenende stattfindende Festival feiert heuer sein fünfjähriges Bestehen. Erklärtes Ziel des Organisationsteams ist es, die Vielfalt aktuellen Schreibens erlebbar zu machen – die Jubiläumsausgabe wird diesem Anspruch mit einem abwechslungsreichen, gehaltvollen Programm mehr als gerecht. Renommierte, preisgekrönte AutorInnen wie auch junge vielversprechende Talente aus der Schweiz und Deutschland werden mit Lyrik und Prosa, witzig und ernst auf der Bühne stehen.
Das Festival wird am Freitag, den 5. März von keinem geringerem als Peter Bichsel, dem Altmeister der Schweizer Literatur, eröffnet. In seinen Geschichten nimmt er sich mit Vorliebe jener an, die am Stammtisch versammelt sich ihrer selbst zu vergewissern suchen. Was auf den ersten Blick als banal erscheint, ent-puppt sich bei genauem Betrachten als wesent-lich – darauf zu verweisen ist Bichsels grosse Gabe. Als Kolumnist zeigt er sich von seiner kritischen, manchmal sogar unbequemen Seite; ihn aber live zu erleben, ohne seinem Charme zu verfallen, ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwei weitere Schwergewichte der deutsch-sprachigen Gegenwartsliteratur werden ebenfalls anwesend sein: Wilhelm Genazino, Träger des bedeutenden Georg-Büchner-Preises, sowie Hans-Ulrich Treichel. Genazinos Romane handeln von der Normalität, an welcher seine Fi-guren – gespalten von dem Bedürfnis, ihrem inneren Erleben einen angemessenen Raum zu geben und der Angst, aus allen Lebenszusammenhängen herauszufallen, zu verzweifeln drohen. Genazino schildert scharf analysierend und zugleich wunderbar poetisch die Nöte des modernen Subjekts. Nicht die unerträgliche Gegenwart sondern die eigene Vergangenheit ist es, die Hans-Ulrich Treichel zum Schreiben motiviert. So beschäftigt er sich in autobiographischen Erzählungen mit Vertriebenenschicksalen, der Identitätsproblematik sowie dem Vergessen und Erinnern. Treichels Sprache ist aber trotz der Schwere der Thematik witzig, ironisch und vor allem unterhaltsam.
An Humor, insbesondere dem schwarzen, mangelt es auch in dem von Sibylle Lewitscharoff verfassten Roman «Apostoloff» nicht. Darin schildert sie eine irrwitzige Fahrt durch Bulgarien, welche die Protagonistin gemeinsam mit ihrer Schwester und dem Fahrer Apostoloff unternimmt, um die sterblichen Überreste des Vaters aus Deutschland in dessen alte Heimat rückzuführen.
Die junge Leipzigerin Ulrike Almut Sandig kann wohl bald nicht mehr als Geheimtipp gelten. Als Lyrikerin hat sie mit ihren aussergewöhnlichen, eigenwilligen Gedichten sowohl die Fachwelt als auch das Publikum begeistert. Nun ist ihr erstes Prosawerk erschienen, und es steht fest: Hier kommt eine, die bleibt.
Mit Alex Capus und Eleonore Frey werden zwei weitere bedeutende Vertreter der aktuellen Schweizer Literaturszene in Thun lesen.
Alex Capus versteht es, seine Figuren, ob gewöhnliche Menschen oder historische Persönlichkeiten, mit Ironie und Witz, doch stets liebevoll und glaubwürdig zu zeichnen. Vielfach basieren seine Werke auf sorgfältig recherchierten historischen Stoffen. Eleonore Frey wurde für ihr zuletzt erschienenes Buch «Muster aus Hans» 2009 für den Schweizer Buchpreis nominiert. Mit grosser Sensibilität und in einer präzisen und hochmusikalischen Sprache gelingt ihr das Portrait eines Aussenseiters, der gar anders als die anderen ist. In dieses «Anderssein» führt die Autorin die Lesenden und eröffnet ihnen eine neue, ungewohnte Perspektive auf unsere Welt.
Im Rahmen des Literaturfestivals findet jedes Jahr auch ein Schreibwettbewerb statt. Die elf besten der zahlreich eingesandten Texte werden von den jungen, (noch) unbekannten AutorInnen in zwei Lesungen präsentiert – hier gibt es Vielversprechendes zu entdecken.
Am Samstagabend sorgt das Kleinkunst-Duo Pasta del Amore für geistreiche Unterhaltung. In ihrer neuesten Produktion «Etwas Über Leben» übernehmen sie die Verantwortung für den Weltuntergang. Literaare wird Sie retten!
Infos: www.literaare.ch
ensuite, März 2010