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Montreux Jazz Festival

Von Ruth Kofmel — Jedes Jahr freue ich mich aufs Neue darauf, nach Mon­treux zu gehen. Das hat viele Gründe: Natür­lich ist das Fes­ti­val­gelände wun­der­schön gele­gen. Schon die Fahrt mit dem Zug dahin, der Moment, wo der Tun­nel zu Ende ist und der See sich vor einem aus­bre­it­et, ist jedes Mal wieder mit einem inner­lichen Oh!-Effekt ver­bun­den. Das Schlen­dern an der Prom­e­nade, wo man sich im Men­schen­strom ein­fach mitschwem­men lassen kann und die unter­schiedlich­sten Leute zu Gesicht bekommt, oder die unverkennbaren Gestal­ten, die jedes Jahr vor Ort sind. Das Pub­likum, das wegen der Musik da ist — lauter Leute, die sich verzück­en lassen, lauschen, tanzen, küssen, kri­tisch disku­tieren, mit­di­rigieren oder mitsin­gen. Ein Pub­likum, wie es eines braucht, um ein Konz­ert einzi­gar­tig wer­den zu lassen. Ein Pub­likum, das weiss, dass es genau so wichtig ist, wie die Men­schen auf der Bühne, und dass nur mit sein­er Hil­fe die Musik­er zu ihrer Höch­st­form auflaufen kön­nen. Claude Nobs, der Grün­der, der es bei aller Kom­merzial­isierung des Fes­ti­vals immer noch fer­tig bringt, dem Ganzen eine per­sön­liche Note zu geben, der immer irgend­wo unter­wegs ist – unverkrampft, zufrieden schmun­zel­nd über die gelun­gene Stim­mung. Die Kün­stler, die in diese Atmo­sphäre ein­tauchen und sich bemühen, ihr Allerbestes zu geben. Immer wieder hört man, dass es eine Ehre sei, hier zu spie­len. Erykah Badu hat es schön, wenn auch ein wenig verk­lärt gesagt: «Wisst ihr, es gibt diesen Moment, wo die Musik­er und das Pub­likum zu einem atmenden Organ­is­mus wer­den — spürt ihr das?». Und ich kenne keinen anderen Ort, wo das so häu­fig vorkommt. Pub­likum und Kün­stler berauschen und beglück­en sich gegen­seit­ig und es ist fast schon ein Wettstre­it: Ist der tosende Applaus mit noch mehr Vir­tu­osität, noch mehr Hingabe aufzuwiegen, oder wie kann dieser per­fek­te musikalis­che Moment im Applaus beant­wortet wer­den? Oft, sehr oft, gehen in Mon­treux Pub­likum und Musik­er mit ein paar unvergesslichen Momenten auseinan­der.

Es ist nun nicht so, dass einem alle Konz­erte in einen Ekstasezu­s­tand ver­set­zen. Immer mal wieder ent­täuscht ein Act, immer mal wieder gefällt einem eine Band nun doch nicht so wirk­lich, und, lei­der viel zu oft, ver­hun­zen von den Bands mit­ge­brachte Ton­tech­niker den Sound, was wirk­lich sehr übel ist, weil Mon­treux eben auch darauf angelegt ist, sehr gut zu klin­gen. Der einzige Wer­mut­stropfen schien mir bei Mon­treux anfangs zu sein, dass die Konz­erte nicht draussen stat­tfind­en – laue Som­mernächte und Musik sind ja per se schon etwas vom Zauber­haftesten. Mit­tler­weile bin ich sehr froh, dass es so ist – an einem Open-Air ist es unmöglich, die Musik so präzise und voll­mundig klin­gen zu lassen, und gute Musik­er hört man ein­fach gerne unter besten Bedin­gun­gen.

Dieses Jahr starte ich mit ein­er neuen Soul Diva: Janelle Mon­ae. Ein wenig sehr gehypt, kommt sie zwar nicht ganz an die hohen Erwartun­gen ran, aber die Frau macht auf jeden Fall schon ein­mal sehr viel richtig. Vor allem mit ihrem Stil­be­wusst­sein, welch­es sich in ihrer Musik, ihrem Gesang, den Visu­als, dem Tanzstil und der Klei­dung nieder­schlägt. Sie holt sich die Anlei­hen bei den ganz grossen Enter­tain­ern und schafft daraus ihre eigenes Ding. Sie bietet eine Büh­nen­show, die einem vom Musikalis­chen her nicht aus den Som­m­er­san­dalet­ten kat­a­pul­tiert, aber fan­tastisch unter­hält. Jamie Lidell ist in meinen Ohren definitv ein­er der ganz Grossen; abso­lut musikalisch, abso­lut tolle Stimme und äusserst inno­v­a­tiv — der erste Tre­f­fer dieses Jahres.

Es kommt aber noch bess­er. Meist lauert auf grosse Vor­freude auch grosse Ent­täuschung. Nicht so bei diesem Mann: Gil Scott Heron kann in meinen Ohren wohl nichts mehr falsch machen. Seine Mit­musik­er sind sicher­lich nicht über jeden Zweifel erhaben – er aber ist es. Seine ver­wasch­ene, mit Rauschmit­teln bear­beit­ete Stimme erin­nert an abgewet­zten Samt – nur schon wenn er spricht, bekommt man Gänse­haut. Und die Art wie er Geschicht­en erzählt, ausholt, den Faden ver­liert, doch irgend­wie den Dreh zum näch­sten Song find­et, fes­selt sein Pub­likum bis zur let­zten Sekunde. Erykah Badu hat es da als Nach­fol­gerin natür­lich erst ein­mal schw­er und es braucht eine Weile, bis sie und ihre grosse Truppe den Groove find­en. Am schön­sten sind dann auch die alten Songs – bis heute ist es ihr nicht mehr gelun­gen, dem was Gle­ichbe­deu­ten­des beizufü­gen. Von mir aus kann sie aber gerne die näch­sten zehn Jahre mit den sel­ben Melo­di­en rum­spie­len, die gefun­de­nen Perlen neu aufziehen, und uns damit in Erin­nerun­gen schwel­gen lassen — sie ist und bleibt eine der grossen Soul-Stim­men.

Der dritte und let­zte Abend startet mit Oy, und auf dieses Konz­ert war ich beson­ders ges­pan­nt. Joy Frem­pong sass mir noch vor nicht allzu langer Zeit bei meinem ersten Inter­view gegenüber, ihr Solo­pro­jekt Oy war da noch halb in den Kinder­schuhen, und nun spielt sie bere­its in Mon­treux. Und wie sie spielt und singt – ich bin hin und weg, ein­mal mehr ein­fach abso­lut begeis­tert. Danach gehört die Bühne CocoRosie, den zwei Schwest­ern, die sich Kult­sta­tus erspielt haben. Mich mag das allerd­ings nicht mehr wirk­lich mitreis­sen. Ihr Rezept ist ohne Frage char­mant und eigen­ständig, aber klin­gen tut es für mich ziem­lich gle­ich­för­mig. Schon eher gefall­en mir dann zum Schluss die Bro­ken Bells. Die siebenköp­fige Band um Dan­ger Mouse und James Mer­cer set­zen den Sound der Plat­te live gekon­nt um. Ich set­ze mich auf eine Trep­pen­stufe und lasse den Blick schweifen; eine Gruppe älter­er Her­ren, die sachte in den Knien wip­pen — sie ähneln alle enorm dem einen Schwarz­markt-Tick­etverkäufer, und der Abend ist nicht ausverkauft. Das sehr ver­liebte junge Paar, das sich immer wieder in die Arme fällt und wed­er aus noch ein weiss vor lauter Musik­flash. Die drei Gören, die einen wilden Indi­an­er­tanz hin­le­gen. Der dis­tin­guierte Herr, der sich eine Kost­probe anhört, bevor er weit­er zieht in die Nacht.

Foto: zVg.
ensuite, August 2010

 

Artikel online veröffentlicht: 11. November 2018