Von Till Hillbrecht — Eine rote Zunge und vier Pfoten: Und doch ist in Berlin alles nur auf Sumpf gebaut.
Die grossen Wahrzeichen Berlins, da gibt es viele. In der Grösse sticht der Fernsehturm heraus, der Länge nach die «East Side Gallery» und ein regelrechtes Schaulaufen der Sehenswürdigkeiten wird einem «unter den Linden» geboten, vom Brandenburger Tor bis hin zur Schlossbrücke. Dabei gäbe es in der Deutschen Hauptstadt etwas zu sehen, was in ihrer kleineren Schweizer Schwesterstadt Bern gerade zu grossem Knatsch führt: Einen Bärengraben, mitten in der Stadt, unweit der Spree direkt hinter dem Märkischen Museum. Während es um den helvetischen Bärenpark partout nicht still werden mag – über eine Million Besucher im ersten halben Jahr, ein schwerer Zwischenfall und kontroverse Sicherheitsdebatten – spielen die Braunbären im Berliner Gehege vor halbleeren Rängen miteinander. Dies, obwohl den Berlinern der Bär ein ähnlich wichtiges Tier im Wappen ist wie den Bernern: Seit er 1280 erstmals im Stadtsiegel auftaucht, bleibt der Bär fortan die Zierde der deutschen Stadt. Und muss damit auch als Spielball der wechselnden Herrscher der Spreestadt hinhalten: Ab 1440 trägt er im dritten Siegel der Stadt einen herrschaftlichen Adler auf dem Rücken, als äusseres Zeichen der kurfürstlichen Unterdrückung. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Königreich Preussen seinen Platz in der Deutschen Geschichte einnimmt, wird dem Berliner Bär ein goldenes Halsband umgebunden. Erst per Magistratbeschluss im Jahr 1875 wird das Tier vom Halsband befreit.
Weshalb es um den Berliner Bärenzwinger – so der offizielle Name – eher ruhig zu und her geht hat unter anderem mit den alternden Bewohnerinnen zu tun: Bärin Schnute (29) und ihre Tochter Maxi (24) räkeln sich lieber in der Sonne als miteinander zu spielen und sorgen für ähnliche Präsenzzeiten wie die Bären damals im noch geöffneten Berner Bärengraben. Schnute, die offizielle Stadtbärin, und Maxi bevorzugen den Stall und hören der Tierwärterin Marlies Gnad zu, wenn sie mit den Bärinnen über Alltagsdinge spricht. Der Berlinerin scheint es ohnehin wohl zu sein ohne den grossen Rummel. Wenn die beiden Tiere draussen sind, steht Gnad ans Geländer gelehnt und raucht eine Zigarette. «Schnute und Maxi haben sich an uns gewöhnt und wir uns an sie», sagt die Berlinerin, die seit 1993 im Bärenzwinger arbeitet. Davor hat die gelernte Tierpflegerin vor allem mit Schweinen zu tun gehabt, mit Bären dann erstmals hier im Zwinger. Es sei allerdings kein grosser Unterschied, ob man mit Schweinen oder Bären arbeite, meint Gnad.
Die Idee des Geheges war also dieselbe wie bei den Berner Kollegen. Wenn schon ein solch mächtiges Wappentier, dann soll es doch auch seinen Platz bekommen in der Stadt. Ob denn die Bären im Zwinger genügend Auslauf haben, mag Gand nicht beantworten. Jedoch gibt es auch in Berlin Bärenzwinger-Gegner: Tierschutzverbände empören sich über die Zustände des Bärenzwingers, ähnlich der früheren Situation in Bern, wo es daraufhin zum Bau des Bärenparks kam. In der Deutschen Hauptstadt ist man weniger beeindruckt ob der Kritik, man will von amtlicher Seite her aber auch nicht in den Kampf um den Zwinger steigen. Der Senat gab bekannt, dass er sich nach Ableben der Bären oder aus anderen Gründen einer Aufgabe des Bärenzwingers, und der Aufstellung einer Erinnerungstafel an dessen Stelle, nicht entgegenstemmen würde.
Nun, eine Kampfansage für die Bärenanlage ist das nicht gerade. Man verfolgt die Strategie, dass sich das Problem von alleine lösen wird. Das mangelnde Interesse am Wappentier ist vielleicht nicht ganz unberechtigt, denn ganz so fest in der Bevölkerung verankert, wie der Verein «Bärenfreunde» es behauptet, scheint der Bär dann doch nicht zu sein: Gerade mal sieben von zehn befragen Berlinerinnen und Berlinern wissen überhaupt von einem Bärenzwinger in ihrer Stadt, und nur einige von diesen sieben könnten mit Bestimmtheit sagen, wo er sich befindet. Eine Fangruppe für Schnute und Maxi im Online-Netzwerk Facebook gibt es zwar, aber nur eine, die sich die Befreiung der Beiden auf die Fahne geschrieben hat.
Dabei war der Zwinger ein Volkeswunsch: In der «BZ am Mittag» vom 28. August 1937 erschien ein Leserbrief, indem es unter anderem hiess: «700 Jahre tanzt der Berliner Bär und warum muss er immer nur auf Siegeln leben, auf Urkunden, Fahnentüchern und Wappen? Uns fehlt etwas Lebendiges. Ein Bär, ein Bärchen meinetwegen, das die Pfoten durch die Stäbe streckt und das eine lange, rote Zunge hat.» Daraufhin ging alles ganz schnell: 2 Jahre später stand der Bärenzwinger. Die Bewohner hatten allerdings noch keine so zuckersüsse Berlinernamen wie die späteren Bären Bärolina, Piefke, Atze oder Schnute, sondern hiessen: Urs und Vreni. Wo die beiden Jungtiere herkamen? Sie waren ein Geschenk des Bärengraben Bern.
Der kurz darauf im Krieg zerstörte Bärenzwinger wurde mit Sand zugeschüttet und wo vorher Bären umherjagten, spielten fortan Kinder im übergrossen Sandkasten. Erst 1949 wurde dem Berliner Volk der Durst nach Lebendigem erneut gestillt, und wieder waren es zwei Berner Bären: Nante und Jette, getauft durch Berlins Bevölkerung.
Heute stehen die beiden Bärenhauptstädte immer noch in regem Austausch, «zweimal sind die Berner Kollegen kürzlich da gewesen», sagt Marlies Gnad. Weshalb der Bär indes seinen Weg in das Berliner Wappen steppte, ist bis heute unklar. Hingegen ziemlich sicher ist, dass der Name «Berlin» mit Bären nichts zu tun hat, auch wenn man das in der Hauptstadt nicht gerne hört. Viel wahrscheinlicher ist die These des Namensforschers Professor Jürgen Udolph. Er hat die Ortnamensgebung im ehemaligen slawischen Sprachgebiet Berlin-Brandenburg erforscht. Sein Ergebnis: «Berlin» entstammt der slawischen Wurzel «barl». Und das heisst zu Deutsch so viel wie «Sumpf».
Foto: zVg.
ensuite, September 2010