Von A. Fatton — Junge MusikerInnen kennen das Arbeiten und Spielen in ständig wechselnden Gruppen wie kaum eine andere Berufsgattung. Und in ihren Terminplanern kollidieren die Probentermine und Konzertdaten unvorhersehbar wie Ereignisse im Teilchenkanal.
Da dürfte der Wunsch nach einem festen Ensemble, das Kontinuität bietet und ein regelmässiges Konzertprogramm erarbeiten kann, nicht weiter erstaunen. Verwunderlich ist aber dennoch, dass es vor allem im Blick auf grössere Ensembles nur zu wenig Neu-Gründungen kam und kommt, gerade die zeitgenössische Musik wartet in Bern seit Jahrzehnten auf eine nennenswerte Initiative.
Das mag auch damit zusammenhängen, dass es doch eine einzigartige Verpflichtung darstellt, ein grösseres Ensemble mitzugründen und mitzutragen. Und diese Verpflichtung geht das ensemble proton um den künstlerischen Leiter Christian Henking und den Dirigenten Matthias Kuhn gleich auf mehreren Ebenen ein. Zum einen verschreibt es sich mit Leidenschaft der zeitgenössischen Musik, der Musik «der eigenen Generation», die mit protonwerk gezielt angesprochen und gefördert werden soll. Zum andern geht es mit der Berner Dampfzentrale ein für beide Seiten gewinnbringendes Verhältnis ein, und wird zum dortigen «Ensemble in Residenz» – vergleichbar mit dem Phoenix Ensemble und der Basler Gare du Nord.
Hervorgegangen ist das ensemble proton aus einem Werkstatt-Projekt für Studierende, das die Komponistin Bettina Skrzypczak 2005 angeregt hat – als Ensemble Boswil unternimmt es mittlerweile jährlich eine anspruchsvolle Schweiz-Tournee. Hier trifft man auf namhafte zeitgenössische Komponisten, lernt sich aber auch gegenseitig kennen. Und gründet dann eben eine Studentenkiste? Weit mehr: zwar ist ein gewisses Mass an jugendlichem Schwung fürwahr vonnöten, um diesen Schritt zu wagen; aber Unbekannte sind die Ensemble-Mitglieder keineswegs. Wer sich in der Schweizer Musikszene ein bisschen umzuhören gewohnt ist, kennt viele der Namen aus anderen Projekten und Ensembles.
Eine sehr begrüssenswerte Begleitidee hat das ensemble proton mit der Plattform protonwerk formuliert – mit dem Ansatz, selbst als Kommunikator und Förderer aufzutreten. Hier sollen junge Komponisten direkt angesprochen und zur Zusammenarbeit mit dem Ensemble angeregt werden, auch im Hinblick auf dessen spezifisches Instrumentarium, das zudem neuentwickelte Instrumenten umfasst. Sollten sich Komponisten für diese «Wolf-Instrumente», etwa Lupophon (Bassoboe) und Kontraforte (Kontrafagott) interessieren, erproben sie in Zusammenarbeit mit dem Ensemble die neuen Klangmöglichkeiten.
Ein bisschen strategisch ist protonwerk natürlich auch gedacht: mit einer grösseren Vernetzung und neuen Ideen steht man Sponsoren besser gegenüber, schliesslich können Kompositionsaufträge nicht nur in alle Himmelsrichtungen ausgesprochen, sondern müssen auch bezahlt werden.
Berner Premiere Mit dem Konzert am 19. Dezember in der Dampfzentrale (Kesselhaus) tritt das ensemble proton bern unter dem Schirm der IGNM Bern zum ersten Mal in der Bundesstadt auf‘s Parkett. Aus der «eigenen Generation» ist nur der Komponist Michel Roth dabei, der in der Schweizer Szene bereits ein eigenes Gesicht, und darin sehr viel frische Farbe entwickelt hat. Daneben vergisst das ensemble proton aber auch die «alten Meister» nicht: Den Berner Komponisten Hermann Meier mit einem Quintett aus seinem vierundachtzigsten Lebensjahr, und die Basler Jacques Wildberger und Balz Trümpy. Vier Generationen Schweizer Musik also, in Besetzungen vom Bläserquintett bis zu Solostücken für Klarinette oder Klavier.
Solostücke in einem Ensemblekonzert?, mag man sich vielleicht irritiert fragen. Ein zeitgenössisches Ensemble, so die Antwort, benötigt keine feste Grösse. Es verfügt vielmehr über eine flexible Besetzung, die sich nach Bedarf verkleinern und vergrössern lässt. Das ensemble proton bern hält es hier wie andere Schweizer Ensembles: es kann in voller Besetzung spielen, aber auch auf die Besetzungswünsche seiner Komponisten reagieren. Nicht zuletzt lässt sich so mit verschiedenen Konzertformen experimentieren, mehr als eine Konzertreihe programmieren, oder, eben, sogar als ensemble proton soloists auftreten.
Es ist höchst erfreulich, dass das Abenteuer, welches ein Dutzend junger MusikerInnen hier gemeinsam unternimmt, Starthilfe von der IGNM Bern und der Dampfzentrale erhält. Das bietet einen Ankerplatz in der lokalen Musikszene, von dem aus sich dann hoffentlich auch weite Reisen über Bern hinaus ergeben.
Ensemble: ensembleproton.ch
Konzertveranstaltung: ignm-bern.ch und dampfzentrale.ch
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010