Von Mira Kandathil — Das ACT Performance Festival in Bern (17. April 2011): Nach anderthalb Jahren Leben in Bern und Kunststudium in der Schweiz, schaue ich nun zum ersten Mal beim ACT Performance Festival zu. Noch anderthalb Stunden bis das Festival anfängt. Ich bin noch etwas draußen und chille mit den Künstlern, die heute performen werden. Sie sind ziemlich gut drauf, ein wenig aufgeregt, aber größtenteils entspannt. Alles ist ziemlich locker, das Essen lecker, das Wetter ist traumhaft. Reis mit Gemüsecurry, Obst, mit heißem Schokoladenüberzug. Bevor es losgeht mache ich noch ein kurzes Schläfchen.
Es beginnt… Draußen sitzt ein junger Mann mit mehreren Piercings im Gesicht, Josué Duciel. Ab jetzt wird er die ganze Zeit auf Post Its schreiben. Ich habe mal gehört, dass Post Its das weltweit am meisten gekaufte Haus-haltsprodukt sind. Er wirkt konzentriert, nicht ansprechbar. Die Post Its kleben auf seinem Tisch, in seinem Gesicht, auf dem Boden, auf seinem Rücken, überall. «Ich brauche Schokolade» steht auf einem.
Auf einem Stuhl an der Foyer-Bar sitzt «Kau Boy» Bernhard Schneider. Der Stuhl wird im Laufe des Abends mit seinen gekauten Kaugummis verklebt sein. Neben ihm steht ein Plattenspieler. Es läuft Johnny Cash.
Als nächstes folgt die Begrüßung von Frau Dr. Hanna Füssli. Eine Dame in grauem Kostüm, mit brünetter ordentlich sitzender Frisur, perfekt geschminkt, ihre Beine so lang wie mein ganzer Körper. Mit tiefer, sanfter Stimme beginnt sie ihre Ansprache. Es ist eine radikale Darbietung, ein Rundumschlag in der Schweizer Kulturlandschaft. Sie stellt die jüngste Generation der performativen Künstler vor, für die die Mediatisierung nichts Neues mehr ist: «… Wir brauchen nicht mehr über Postmoderne, Cyberspace oder das neue Französische zu reden, denn das hat diese Generation intus.» Hanna Füssli ist in ihren Äusserungen direkt: «Nicht überall wo Pro Helvetia draufsteht ist auch Kunst drin. Nicht überall wo Bundesamt für Kultur drauf steht ist auch Kultur vorhanden», sagt sie, und «Innovation kommt von unten». Ich bin mir nicht sicher, ob alle wissen, dass hinter Frau Dr. Füssli, der Schauspieler, Performer und Künstler Nils Amadeus Lange steckt.
Die Krönung des Abends: Daniela Ruocco, die mit ihrer Performance als exotische Pathos Queen, die Bühne erobert. Nachdem sie die Bühne betritt, lockiges Haar, ein glänzendes violettes Kostüm, und eine glitzernde Blume im Haar, fühlt es sich für mich so an, als ob der Atem im Zuschauerraum kollektiv stehen bleibt. Auf dem Boden in der Mitte der Bühne ein Korb voller Früchte. Sie verteilt schwebend und sinnlich Früchte an das Publikum, unter anderem eine Ananas an G.J. Lischka. Dann beginnt sie zu singen, auf Spanisch. Es ist der Jahrestag der Revolution in Kuba. Sie singt über Che Guevara. Nachdem sie die Herzen der Zuschauer endgültig erobert hat, zertrampelt sie die Früchte und verlässt den Raum ohne einen Blick an das Publikum zu verschwenden oder sich zu verbeugen. Keiner weiß so recht, ob geklatscht werden darf oder nicht.
Bemerkenswert auch Irene Müller und Cornelius Danneberg. Die Performance bezieht sich auf ein schon vorher durchgeführtes Projekt. Tagelang haben die beiden sich in jeweils einen Kubus eingeschlossen. Kein Kontakt mit der Außenwelt, alleine mit sich und ihren Gedanken. Ich wusste schon damals nicht ganz, wie ich zu diesem Projekt stehen soll. Experimentell, existenziell aber irgendwie doch auch eine Folter. Heute war die Realisierung des Projektes zu sehen. Ein körperlich, kraftvoller, tänzerischer Ausdruck, der für mich die Gefangenschaft im Kubus, im eigenen Körper und im Selbst verkörpert hat.
Insgesamt hat es sich für mich sehr gelohnt bei ACT dabei zu sein, und die junge neue dynamische Performance- Szene zu bewundern.
Foto: zVg.
ensuite, Mai 2011