Von Sonja Wenger — Hinterhältig ist er, der Film «Drive» des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn. Cool ist er, und kompromisslos – auf allen Ebenen. Hinterhältig, weil er sich im Gedächtnis festsetzt und lange nach Ende des Abspanns weiterläuft. Cool, weil Hauptdarsteller Ryan Gosling im Seidenblouson und mit Lederhandschuhen den einsamen Wolf, oder besser Werwolf mimt, und einem kalte Schauer über den Rücken jagt. Kompromisslos, weil in diesem schnörkellos erzählten und elegant gemachten Film eine latente Spannung und eine einlullende Bewegung herrscht, die immer wieder völlig unvorhersehbar von rohen, schockierenden Gewaltmomenten durchbrochen wird.
Und damit nicht genug. «Drive» bietet auch eine breite Plattform für feinste Schauspielkunst. So machen Carey Mulligan, Albert Brooks, Bryan Cranston (kaum wiederzuerkennen: Walter White aus «Breaking Bad»), Oscar Isaac und Ron Perlman ihre Aufwartung, und gar Christina Hendricks aus «Mad Men» ist in einer Nebenrolle zu sehen. Doch alle verblassen ob der Darstellung von Ryan Gosling als «Driver», der Fahrer, der namenlose Antiheld des Films, der durch nichts zu beeindrucken ist, weder durch eine Flotte von Polizeiautos noch dadurch, dass er sich gleich mit zwei Mafiafamilien anzulegen scheint.
Manche würden sagen, der «Driver» sei eiskalt. Doch gerade seine stoische Gelassenheit macht ihn so gut für seine Jobs. Tagsüber arbeitet er als Stuntfahrer für Hollywood, nachts ist er als Fluchtwagenfahrer unterwegs, und nebenbei möchte ihn sein Garagist Shannon (Cranston) noch als Rennfahrer aufbauen. Dafür will sich Shannon 300’000 US-Dollar beim Mafioso Bernie Rose (Brooks) und dessem Geschäftspartner Nino (Perlman) leihen.
Der Driver kennt die Strassen von Los Angeles genauso gut wie das menschliche Verhalten, beides ist für ihn jedoch reines Hilfsmittel, sein Leben mit so wenig Adrenalin wie möglich unter dem Radar zu leben. Das geht so lange gut, bis er seiner neuen Nachbarin Irene (Mulligan) und ihrem Sohn Benicio begegnet. Obwohl er weiss, dass Irenes Mann Standard (Isaac) demnächst aus dem Gefängnis entlassen wird, lässt er die junge Frau in sein Leben. Dass dies lausig schiefgehen muss, ist vorhersehbar, und am Ende kreuzen sich die Lebenswege von allen auf fatale Weise.
Regisseur Winding Refn hat mit «Drive» einen Thriller im Stil der siebziger und achtziger Jahre gedreht, der dem Kino endlich wieder ein – relativ – neues Gesicht schenkt, das Erwartungen weckt. Tatsächlich verfügt Gosling, der innert Monatsfrist gleich mit zwei hochkarätigen Filmen im Kino zu sehen ist (seit Ende Dezember läuft auch die hochintelligente Politallegorie «The Ides of March»), in «Drive» über die Aura eines Steve McQueen – allerdings ohne je den Eindruck zu erwecken, jemanden nachahmen zu wollen. Vielmehr ist es die Authentizität des Schauspiels, der Filmbilder und vor allem der Drehorte, die «Drive» zu einem intensiven Erlebnis machen.
Paradoxerweise ist Winding Refn, der in seinen früheren Filmen «Bronson», «Valhalla Rising» oder der «Pusher»-Trilogie härteste Männerwelten zeigt, gerade in der Zurückhaltung ein wahrer Meister. So zeigt sich die innere Spannung des Drivers höchsten in einem Zucken des Zahnstochers in seinem Mundwinkel – und eindrücklicher als in jenen Szenen, in denen er mit Benicio auf dem Sofa Fernsehen schaut, kann man eine implodierte Gefühlswelt nicht darstellen. Es sind diese Details, die «Drive» zu einem kleinen, cineastischen Leckerbissen machen, einem Glücksfall des physischen wie philosophischen Kinos zugleich – mit hinterhältigem Kultpotenzial.
«Drive». USA 2011. Regie: Nicolas Winding Refn. Länge: 100 Minuten.
Foto: zVg.
ensuite, Januar 2012