Von Andreas Meier — Im Jahre 1973, mitten im Kalten Krieg, wird Jim Prideaux (Mark Strong), ein Agent des britischen Geheimdienstes, in Budapest erschossen. Control (John Hurt), Leiter des Geheimdiensts, tritt nach diesem Fiasko zusammen mit seiner Rechten Hand George Smiley (Gary Oldman) zurück und erliegt bald darauf einer schweren Krankheit. Doch Smileys Ruhestand währt nicht lange. Bald schon kursieren Gerüchte, dass Control den Verdacht hegte, dass sich auf höchster Ebene des britischen Geheimdienstes ein russischer Doppelagent befinde, ein sogenannter Maulwurf. Smiley beginnt, inmitten einer Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens und Verwirrung Fragen zu stellen, und tastet sich Schritt für Schritt zum Kern dieses obskuren Verwirrspiels voran.
Eine Zusammenfassung des Plots der neuen Verfilmung von John Le Carrés Roman «Tinker Tailor Soldier Spy» durch den Regisseur Tomas Alfredson ist nicht einfach, oder kann zumindest kaum seiner Atmosphäre gerecht werden, die vor allem durch die subtile Art des Erzählens erzeugt wird. Verwirrung, Unsicherheit und gezielte Missinformation sitzen im Kern der Handlung und betreffen nicht nur die Figuren des Films, sondern auch den Zuschauer. Trotz seiner gewollten Langsamkeit ist der Film ein Mosaik aus vornehmlich kurzen, obskuren Szenen, die sich zwar schlussendlich elegant und nahtlos ins Gesamtbild einfügen, und doch im Augenblick mehr zu verhüllen als zu verraten scheinen. Es ist ein anstrengender Film, der grosse Konzentration verlangt, und löblicherweise niemanden im Publikum für dumm verkauft. Der Zuschauer muss sich, obwohl er Smileys Fortschritt beobachtet, vieles selbst erarbeiten und die unzähligen Informationsfetzen richtig zusammenfügen können. Der Blick auf die grossen Zusammenhänge bleibt verwehrt. Das Gesamtbild wird auseinandergebrochen und verschleiert durch Dunkelheit, Close-Ups, unzählige Rückblenden, abrupte Schnitte und misstrauische Schweigsamkeit.
Der Fluss von Informationen ist alles. Die Figuren des Films sind stets angespannt, kalkulierend, mit aufgesetztem Pokerface, um nichts preiszugeben. Die Atmosphäre und die Bilder sind kühl, wie schon in Alfredsons brillantem «Let the Right One In» (2008). Umso beeindruckender, wenn die Fassade aus mühsam aufrecht erhaltener Selbstkontrolle einmal zusammenfällt und Nervenzusammenbrüche oder plötzliche Gewalt zeigen, was alles unter der Oberfläche versteckt liegt – das Verwirrspiel hinterlässt Spuren in der Psyche seiner Figuren. Denn die Charaktere von «Tinker Tailor Soldier Spy» besitzen trotz aller scheinbaren Kälte glaubhafte psychologische Tiefe. Immer wieder beeinflussen Emotionen, die keinen Platz in dieser Art von Arbeit haben, unerwartet die Handlung. Die Agenten sind gewöhnliche menschliche Wesen; sie machen Fehler, sie haben Zweifel. Anders als in den meisten Agentenfilmen sind sie hier keine Übermenschen, die alles unter Kontrolle haben und höchstens durch die Brillanz ihrer Gegenspieler ausgetrickst werden können.
So ist George Smiley, wunderbar verkörpert von Gary Oldman, das exakte Gegenstück zu James Bond. Schweigsam, steif, unscheinbar, und trotz aller kühlen Professionalität emotional involviert in seinen Fall. Und anders als Agenten in der Bond-Tradition liefert er sich keine wilden Verfolgungsjagden und Schiessereien. Smiley steht beobachtend im Auge des Sturms, während sich um ihn herum die tödlichen Intrigen abspielen. Auch einen klassischen Bösewicht, den es zum Wohl der Welt zu bezwingen gilt, sucht man hier vergeblich. Gut und Böse sind Kategorien, die sich auf Smileys Arbeit nur schwerlich anwenden lassen, und Smiley scheint sich diesbezüglich keine Illusionen zu machen.
«Tinker Tailor Soldier Spy» ist ein herausfordernder Film, doch es ist gerade eine gezielt angewandte Verwirrung, die ihm seine Faszination verleiht. Die Art und Weise, wie dem Zuschauer Informationen offenbart und andere vorenthalten werden, wirkt nicht aufgesetzt, sie entspringt scheinbar natürlich der Handlung und ihren Themen. So ist es nur konsequent, dass am Ende nicht wie bei vielen anderen Filmen des Genres mit einem Paukenschlag eine überraschende Wendung zu präsentieren versucht wird, sondern dass er still, aber deswegen nicht weniger eindrücklich endet. Es ist ein Film, der sich traut, leise und schweigsam zu sein, und diese subtile und kühle Stille selbst in den seltenen Momenten grosser Emotionalität und Gewalt aufrechterhalten kann.
«Tinker Tailor Soldier Spy» kommt am 2. Februar ins Kino. Regie: Tomas Alfredson. Drehbuch: Bridget O’Connor, Peter Straughan. Darsteller: Gary Oldman, John Hurt, Toby Jones, Colin Firth u.a. F/UK/DE, 2011.
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012