Von Fabienne Naegeli — Am Freischwimmer Festival in der Gessnerallee geht das Performancekollektiv um Louise Voigt mit Musik gegen das Burnout-Phänomen vor.
Wer kennt es nicht, das Gefühl, die Grenze der Belastbarkeit erreicht zu haben, gestresst, überfordert und ausgebrannt zu sein. Woran liegt es, dass so viele Menschen in unserer heutigen Gesellschaft an Erschöpfung leiden? Wo sind die Arbeiterlieder geblieben, die es einmal dafür gab? Die Regisseurin, Hörspielmacherin, Klang- und Videokünstlerin Louise Voigt und ihre PerformerInnen versuchen in «Ausbrennen – Songs von der Selbstverwertung oder Melodien für den Feierabend» die alternativlos scheinenden Mechanismen von Burnout herauszuarbeiten, und begeben sich auf die Suche nach Lebens- und Handlungsspielräumen.
Unsere heutige Arbeitswelt ist hochgradig individualisiert. Das Einzelkämpfertum in Form von Ich-AGs, die zuhauf aus dem Boden spriessen, greift um sich. Jeder ist mittlerweile ein kleiner Unternehmer, und die anderen seine Konkurrenz. Selbstverwirklichung wurde zum Imperativ erhoben. Café trinken sowie Facebook-Freunde auswählen nennt sich heute Networking. Arbeit und Privatleben fällt dabei immer stärker zusammen. Der Grad des Erfolgs im Beruf ist eng verknüpft mit dem Selbstwert eines Menschen. Dieses verschobene Selbstbild und die radikale Vereinzelung sind ein guter Nährboden für Burnout. Aber anstatt das Problem in der Öffentlichkeit zu artikulieren, wird es nach Hause getragen. Louise Voigt und ihr Performancekollektiv hatten davon genug und fingen an, Arbeiterlieder für unsere Zeit zu komponieren. Statt die Frustration gegen sich selbst zu wenden und in Selbstmitleid zu versinken, versuchen sie, Souveränität und Distanz zu erlangen, und erheben die Stimmen. Mit frischer Landluft, Yoga, Anti-Burnout-Apps oder einem Ruheraum im Büro ist dem Problem nicht wirklich beizukommen, da dies nur weitere Optimierungs- und Verwertungsstrategien sind, um wieder fit für den unveränderten Markt zu werden. Voigt und Konsorten setzen in «Ausbrennen – Songs von der Selbstverwertung oder Melodien für den Feierabend» dem gesellschaftlichen Phänomen Burnout Singer-Songwriter- sowie elektronische Musik, Pop, Dub, Party-Club-Sound und das konzertante Setting ergänzende Monologe entgegen, und lassen an ihren Workstations eine Grossstadt zum Leben erwachen.
Ganz nach dem Motto des diesjährigen Freischwimmer Festivals «Verwerte dich!» versucht das Duo Thom Truong und ihr Social Entrepreneurs mit «Invest in me!» andere von den eigenen Visionen, die Welt zu verändern, zu überzeugen. Martin Schick & Co hingegen verkaufen im Rahmenprogramm zum Festival nicht sich selbst, sondern einzelne Teile von Griechenland. Lukas und «… die keineswegs letzten Piraten» kehren mit ihrem Schiff voller Illusionen, Hoffnungen und Sehnsüchte in den Hafen zurück. Mit realem und fiktivem Material über institutionalisierte Formen der Religion setzt sich die multimediale Performance-Collage «Polis3000: oratorio» von Markus&Markus auseinander. Andrea Maurer + Thomas Brandstätter / studio 5 verlassen in «meaning meaning» die semiotischen Konventionen und begeben sich auf die Suche nach einer zukünftigen Sprache. Mehr Zeit zum Leben – was uns heute Fertigprodukte weismachen, das versprach die Einbauküche der Hausfrau der 20er Jahre. In der audiovisuellen, interaktiven Installation und Performance «Ein.Küchen.Bau» konfrontiert Joonas Lahtinen die BesucherInnen mit verschiedenen Auffassungen von Kochen und Zeitmanagement. Giesche X Hermsdorf befassen sich in «Black or White» mit der uns überfordernden Informationsflut und der Schwierigkeit, sich bei dieser Fülle zu entscheiden.
Info: www.freischwimmer-festival.com
Foto: zVg.
ensuite, November 2012