Von Barbara Roelli — Operation am offenen Herzen. Mit der linken Hand den Plastikbeutel mit organischem Inhalt festhalten, mit der rechten Hand Skalpell oder Schere zum Schnitt ansetzen. Den Plastikbeutel soweit aufschneiden, dass die zwei oder drei rundlichen Körper von Hand durch den Schlitz entnommen werden können. Dabei verlieren sie viel Lebenssaft. Arbeitet man auf einer Chromstahloberfläche, lässt sich die rote Flüssigkeit leicht entfernen – in die feinen Ritzen jedoch, die das Küchenmesser auf dem hölzernen Schneidebrett hinterlassen hat, dringt sie ein. Auch Plastikbecken, die vom regen Gebrauch rau geworden sind – etwa vom Rühren mit dem Schwingenbesen – nehmen die Farbe des Saftes sofort auf. Das ist typisch, wenn man mit gedämpften, geschälten Randen operiert.
Wer kennt nicht dieses intensive Rot? Im Farbton angesiedelt zwischen Bordeaux und Rotkraut-Rot. Ein wertvolles Rot, fast zu wertvoll für ein Gemüse, das zum Verzehr bestimmt und dann nie mehr gesehen ist. Vielmehr würde das Randenrot zu schweren Samtvorhängen passen, die in den vier Meter hohen Räumen einer etwas betagten Villa hängen. Von den Fenstern der Villa sähe man auf den verwilderten Rosengarten. Passen würde das Randenrot auch zu Stiefeln aus feinstem Kalbsleder; vom Schuhmacher in stundenlanger Arbeit angefertigt. Und doch schreit das Rot der Rande nicht nach Aufmerksamkeit, wie es etwa das leuch-tende Rot von Tomatensauce oder das Rüebliorange tut.
Randenrot ist in unserer Kategorie der «essbaren» Farben aufgenommen. Es gibt aber wenige Lebensmittel, die ein solch dunkles Rot tragen und nicht irgendwie an den Tod erinnern wie etwa die Blutwurst. So dunkelrot die Knolle der Rande auch ist, vermischt sich ihr Farbstoff erst einmal mit weissem Quark oder hellgelber Mayonnaise, wirft sich die Rande erst richtig in Szene. Was ihre Farbe angeht, so ist und bleibt sie die Königin. Wird sie in einem Salat mit Äpfeln, Gurken oder Kartoffeln kombiniert, so dauert es nur wenige Minuten und ihre Mitstreiter leuchten in sattem Pink. Das schauspielerische Talent der Rande, genauer ihres Farbstoffes namens Betanin, macht sich auch die Lebensmittelindustrie zu Nutze. Der natürliche Farbstoff bewirkt zum Beispiel, dass ein Erbeerjoghurt so aussieht, wie für uns ein richtiges Erdbeerjoghurt auszusehen hat. Mag ein Erdbeerjoghurt mit noch so vielen Erdbeerstückli und zusätzlichem Erbeeraroma aufgemotzt sein – ohne die vermeintlich charakteristische Farbe, lassen wir uns schwer davon überzeugen. Was heisst, dass unser Auge (das Auge, das mitisst), sich gerne vom Randensaft täuschen lässt.
Dieses Auge mag auch dramatische An-blicke: Dafür packt man eine Randenknolle in Salzteig ein und lässt sie im Ofen bis 90 Minuten backen. Dann bricht man den gipsartigen Mantel auf, und die Rande kommt zum Vorschein – wie in ihrem eigenen Blut liegend. Oder man kocht «Borschtsch». Die in Osteuropa verbreitete Randensuppe ist – mit einem Löffel Sauerrahm und einem Zweiglein Dill serviert – eine kulinarische Augenweide.
Nicht so königlich wie ihre Farbe ist hingegen der Geschmack der Rande. Sie stammt aus dem Erdenreich und schmeckt auch danach: erdig, süsslich, etwas säuerlich. Deshalb lässt sie sich gerne von Aromen schmücken. Das klassische Lorbeerblatt, exotischer Ingwer, würzige Schalotte und erfrischende Zitrusfrüchte wie Orange und Grapefruit stehen ihr gut. Wohl gerade deshalb, weil sie von Natur aus süsslich ist, eignet sich die Rande auch für süsse Speisen – zum Beispiel für einen Cake.
Viel Gutes wird der Rande nachgesagt: Sie sei vitaminreich, fördere die Blutbildung, habe eine blutdrucksenkende und appetitanregende Wirkung. Sie ist aber auch reich an Oxalsäure, die harnsteinbildend wirkt.
Zubereiten lässt sich die Rande roh, gedämpft, geraffelt, gewürfelt, als Carpaccio, in dicken Scheiben oder als ganze Knolle füllen. Eingelegt in Essig oder süss-sauer eingemacht, ist sie lange haltbar.
Die Randenknollen sind «Natur pur», denn sie unterscheiden sich in Form und Gewicht stark voneinander; sie können von 100 bis 600 Gramm wiegen.
In der Schweiz wird der grösste Teil der Randen im Oktober geerntet und an Lager gelegt. Zum Glück! Denn wer sich saisonal ernähren will, muss im Winter nach Farben suchen. Bleichgelbe Sellerieknollen, stumpfgrüne Wirzköpfe und schwarzvioletter, weisslich schimmernder Rotkohl dominieren das hiesige Gemüseangebot. Wie gut tut da die Rande. Oder die rote Beete, die rote Rübe, Rahne, Rohne, Salatrübe, Betterave, Beetroot, Barbabietole. Mit ihrer Farbe ist sie die Königin der Wintergemüse. Und sie bleibt einem auch dann noch in Erinnerung, wenn man das stille Örtchen aufsucht.
Info: Hier
Foto: Barbara Roelli
ensuite, Februar 2010